Katie Aenderson redet seit 2 Monaten in ihrem Podcast über das Tabuthema sexualisierte Gewalt und Vergewaltigung. Heute ist sie bei mir zu Gast und erzählt von ihrer #metoo-Story, bei der sie in den Arbeitskreisen vergewaltigt wurde, und was sie danach gemacht hat.
Sie ist Feministin und nimmt an den “Miss-Germany” Wahlen teil. Wie das alles zusammen passt und wie sie heute lebt, erfährst du in diesem Interview.
Mai: Herzlich willkommen zu einem Interview. Heutiger Gast ist Katie Aenderson. Sie ist Podcasterin vom Podcast: “Träuma weiter”. Ich freue mich mega, dass wir es geschafft haben, zusammenzufinden.
Katie: Ich freue mich total, dass ich dabei sein darf.
Mai: Magst du dich unseren Leser*innen einfach mal vorstellen?
Katie: Ich bin Katie, bin 25 Jahre alt und wohne mit meiner Frau und unseren zwei Hunden in Berlin. Ich habe seit 2 Monaten einen Podcast. Hauptberuflich studiere ich Soziologie und Medieninformatik und arbeite auch in der Medieninformatik. Ich unterrichte Grundschüler in IT.
Mai: Wie alt sind die? Was machst du genau mit denen?
Katie: Von der zweiten Klasse, 7-8 Jahre bis hin zur sechsten Klasse. Die lernen entweder ein halbes Jahr HTML oder sie lernen ein ganzes Jahr dann zusätzlich auch noch CSS und Java.
Mai: Und können am Ende was?
Katie: Sie können am Ende eine eigene Webseite programmieren.
Mai: Wie geil ist das denn? Mit 11 Jahren eine eigene Webseite programmieren, ist schon ein krasser Skill.
Katie: Das ist schon ziemlich beeindruckend, finde ich auch.
Mai: Wo du auch noch viel unterwegs bist, ist in der “Female-Empowerment-Szene.”
Katie: Ich würde mich selbst als Feministin bezeichnen, ja. Ich finde sowieso, dass wir alle Feministen sein sollten. In der heutigen Zeit zu sagen, man ist kein Feminist, ist nicht mehr angebracht.
Mai: Ich habe bei dir auf deiner Instagramseite gesehen, dass du bei den “Miss-Germany” und “Miss-Berlin” Wahlen mit unterwegs bist. Wie passt das mit Feminismus zusammen?
Katie: Ja, das ist eine große Frage, die mir meine Follower auch gestellt haben. Auf den ersten Blick hört sich das ja mehr wie zwei Gegensätze an. Allerdings hat die “Miss-Germany Wahl” in den letzten zwei Jahren einen großen Wandel durchgemacht. Seit zwei Jahren geht es bei der “Miss-Germany Wahl” um “Female Empowerment”.
Damit kann ich mich identifizieren. Deswegen bin ich dieses Jahr dabei. Momentan bin ich eine von den zehn “Miss-Berlin”.
Mai: Wow. Das heißt, ihr dackelt da nicht mehr im Bikini auf dem Laufsteg herum und wünscht euch den Weltfrieden?
Katie (lacht): Gott sei Dank nicht. Das wäre mit meinen Prinzipien überhaupt nicht vereinbar gewesen. Es geht mehr darum, dass man quasi seine Vision an die Menschen bringt. Was in meinem Fall einfach ein “Gendergap” zu schließen ist. Gender-Grenzen aufzusprengen. Über Trauma zu sprechen. Das Ganze einfach authentischer zu machen.
Mai: Megacool! Das war für mich sehr “mindblowing”, als du mir das im Vorgespräch erzählt hast. Ich saß wirklich vor deinem Instagram und dachte mir: “Wie passt das zusammen?”. Ich hatte noch das total klassische Bild von den “Miss-Wahlen” im Kopf.
Ich wusste überhaupt nicht, dass es da eine neue Version von gibt. Ich bin die “Germanys next Topmodel” Generation. Als ich 14 Jahre alt war, kam die erste Staffel raus. Das war, was ich im Kopf hatte. Megaschön, dass sich das gewandelt hat.
Katie: Ich glaube auch total wichtig. Ich glaube, dass wir generell gerade in einem großen Wandel sind. Dass man Frauen eben nicht mehr nur als Objekte sieht, sondern Frauen als Hauptdarsteller ansehen kann.
Wir erreichen so viel, wenn wir uns gegenseitig unterstützen. Deswegen finde ich das neue “Miss-Wahl” Konzept superzeitgemäß und total wichtig.
Mai: Ihr wart ja sogar in der “Cosmopolitan”?
Katie: Ja, jede von uns hat jetzt erst ein Interview mit der “Cosmopolitan” geführt und ein bisschen Material produziert: Pressefotos gemacht und so weiter.
Mai: Voll abgefahren. Außerdem vertrittst du dort ja deine Werte, erzählst und bist gerade dabei, einen Text zu schreiben. Was ist denn dein Wunsch, deine Vorstellung von einer neuen Welt, für die du stehst?
Katie: Wenn ich mir das Ganze so als “female-future” vorstellen würde, wo ich finde, dass es das sein muss. Es ging lange genug um Männer, jetzt kann es auch mal um Frauen gehen. Dann ist, glaube ich sehr wichtig, dass wir Gender-Grenzen, die momentan existieren, einfach aufbrechen. Wo es egal ist, ob man Mann, Frau, Divers oder sonst etwas ist.
Dieser Aspekt ist völlig egal, wenn du einen Job machen möchtest, wenn du mit jemandem zusammen sein möchtest, wenn du jemand anderes sein willst, dann solltest du das einfach tun können. Das ist so eine Vision, die ich habe, dass es einfach keine Rolle mehr spielt, sondern das der Mensch einfach Mensch ist.
Mai: Amen. (Katie lacht) Ich wünsche dir ganz viel Erfolg. Können wir dann online für dich abstimmen oder wie funktioniert das Abstimmungsverfahren genau?
Katie: Jetzt gibt es dann die Abstimmung für Berlin. Dort werden alle 10 Berlinerinnen mit Foto, Text und Videos vorgestellt. Dann kann man einmal pro Tag, sieben Tage lang abstimmen. Das heißt, theoretisch könnte jeder siebenmal für mich abstimmen.
Dann kommen drei mit den meisten Stimmen und zwei von der Jury ausgewählte weiter. Somit sind es fünf pro Bundesland. Dann entscheidet “Miss-Germany”, wer Berlin vertreten darf.
Mai: Megacool. Link dazu ist auf jedem Fall hier.
Mai: Was hast du mit #metoo zu tun? Was ist deine #metoo-Story?
Katie: Also ich glaube ehrlich gesagt, dass wir alle irgendwie eine #metoo-Story haben. Meine war vor sieben Jahren, da war ich 18 Jahre alt. Ich wurde von einem Arbeitskollegen vergewaltigt, er hat sexualisierte Gewalt an mir ausgeübt.
Jetzt sieben Jahre später und sieben Jahre immer mal wieder ‘in-and-out’ of Therapie habe ich angefangen, meinen eigenen Podcast darüberzumachen. Ganz ähnlich wie du, spreche ich mit “überlebenden” über ihre Geschichten. Spreche viel über Selbstliebe und auch Akzeptanz, weil das nicht das Leichteste ist, sich nach so einem Erlebnis selbst überhaupt wieder akzeptieren zu können.
Mai: Das finde ich so toll, dass du auch die Stärke daraus gezogen hast und damit herausgehst. Dieses enttabuisieren und stigmatisierend ist einfach so wichtig für die Heilung.
Katie: Es ist auch einfach zu wichtig, denn wir sind zu viele. Es ist nicht so, als wäre es eine Frau auf 100.000. Selbst das wäre genug, um darüber zu sprechen. Aber es ist fast jede Zweite, die etwas in der Richtung erlebt hat.
Ginge es da um eine andere Thematik, zum Beispiel um Haarausfall bei Männern, dann wäre das ein Riesenthema. Jeder würde darüber sprechen und Zeitungen würden darüber berichten. Es gebe Werbekampagnen darüber. Es gäbe Produkte dagegen.
Und oh ja! Das gibt es, weil das Thema Haarausfall bei Männern ein großes Thema ist. Natürlich ist das auch nicht schön für die Betroffenen, weil die darunter leiden. Aber wir haben was erlebt, wo es sich lohnt, darüber zu sprechen, weil es so sehr hilft. Warum ist das ein Tabu? Weil es ein Frauenthema ist.
Mai: Ja. (Mai seufzt) Ich führe meinen Podcast nicht umsonst. Es ist cool zu sehen, dass es immer mehr Schwestern-Podcasts gibt. Bei dir kommen sogar wöchentlich Folgen raus. Ich habe mir auch ein paar Folgen angehört. Wie man mit Yoga weiterkommt. So hat jede ihren eigenen Weg der Heilung gehabt.
Das ist schön, dass man das so transparent hören kann.
Katie: Allein dass ich jede Woche eine Folge rausbringen kann, spricht doch schon dafür, wie viele Frauen betroffen sind. Ich spreche ja nicht “nur” mit “survivors” von sexualisierter Gewalt, sondern ich spreche auch mit “survivors” die andere Dinge erlebt haben, die andere seelische Wunden haben.
Seelische Wunden sind irgendwie immer noch mehr Tabu als körperliche. Wenn ich mir mein Knie aufschlage, dann spricht mich jeder darauf an und jeder hat einen Tipp und kann helfen. Ich erzähle das auch jedem.
Wenn ich sexualisierte Gewalt erlebt habe und seitdem eine posttraumatische Belastungsstörung habe, dann weiß erst mal überhaupt keiner, was das bedeutet. Da geht es schon los. Dann erzählt man es niemandem. Niemand fragt nach, niemand sieht diese Wunde und niemand kann helfen.
Das ist doch irgendwie unrealistisch, weil seelische Wunden eben nicht so schnell heilen, wie ein aufgeschlagenes Knie.
Mai: Wie du schon gesagt hast, glaube ich, dass wir inmitten einer Zeit der Veränderung sind. In einer Umbruchzeit, wo in der Mitte der Gesellschaft verstanden wird, dass seelische Erkrankungen ganz normale Erkrankungen sind. Ganz normale Reaktionen.
Ich halte mich oft am Begriff der Krankheit auf, obwohl es eigentlich gar keine Krankheit, sondern die Gesundheit eines Körpers ist. Dein Körper ist in der Lage, bestimmte Themen, Emotionen und Erfahrungen abzukapseln, sich eine Angststörung oder eine posttraumatische Belastungsstörung bildet, damit der Mensch weiterhin funktionieren kann.
Der Mensch ist weiterhin Teil der Gesellschaft und kann arbeiten gehen, Freunde treffen, Sport machen. Ein Schutzmechanismus des Körpers, der eigentlich sogar gesund ist. Wenn wir das dauerhaft so tun und alles Mögliche abkapseln und uns immer mehr abspalten, dann wird es irgendwann ungesund.
Eine seelische Krankheit, ein seelisches Problem muss man auch irgendwann heilen. Egal ob über Therapie, Coaching, Persönlichkeitsentwicklung da gibt es ja mittlerweile so viele coole Sachen. Das heilt nicht von alleine, es bildet sich kein Schorf, was irgendwann abfällt und dann ist neue Haut darunter.
Mai: Magst du nur, wenn es für dich in Ordnung ist, ein bisschen mehr auf die sexualisierte Gewalt eingehen, die dir widerfahren ist? Was genau passiert ist? Wie ging es dir danach? Was hast du dann getan?
Katie: Ich war wie gesagt 18 Jahre alt. Wir haben zusammen gearbeitet. Er hat eine Einweihungsfeier zu seiner neuen Wohnung geschmissen, wo er alle Arbeitskollegen zu sich nach Hause eingeladen hat. Als ich dort ankam, war kein weiterer Arbeitskollege vor Ort. Nur seine zwei besten Freunde.
Was ich erst mal nicht komisch fand, weil viele sagen ab und viele kommen zu spät. Ich kannte ihn ja auch. Deswegen bin ich geblieben. Nach ein paar Minuten “Wahrheit oder Pflicht” spielen, sind seine zwei besten Freunde dann vor die Zimmertür gegangen. Er hat mich vergewaltigt und sexualisierte Gewalt angewendet.
Als das Ganze um war, haben mich seine zwei besten Freunde zur Bahn gebracht. Sie haben mir dann auf dem ganzen Fußweg dahin erzählt, dass ich das Ganze doch gewollt hatte und Sex manchmal einfach härter ist. Man das zulassen und genießen soll. Während mir gefühlt literweise Blut die Beine herunterlief. Das war absolut sexualisierte Gewalt.
Direkt danach habe ich tatsächlich nicht viel gemacht, außer lange zu duschen. Ich weiß, eigentlich muss man zum Gynäkologen gehen und Abstriche nehmen lassen, aber in der Situation war das am weitesten entfernteste, was ich hätte machen wollen.
Ich habe ewig im Sitzen geduscht, weil ich mich nicht mehr auf den Beinen halten konnte. Ich habe tatsächlich Fotos von meinen Wunden gemacht. Soweit habe ich dann noch gedacht und bin ein paar Tage später zu der Polizei.
Habe mit einem Beamten darüber gesprochen, was mir passiert ist, und er sagte sehr ehrlich zu mir das in meiner Situation, in der es zwei Zeugen für die Gegenseite und einen Täter gibt, es wenig Chance für mich gibt, da überhaupt weiterzukommen.
Er hat mir erzählt, was, selbst wenn ich den Schritt gehen möchte und vor Gericht gehe, es für mich bedeuten würde. Dass ich da sitzen würde, meine Geschichte dieser sexualisierten Gewalt erzähle die beiden Zeugen und der Täter kommentieren dürften.
Ich die Geschichte noch zweimal erzählen würde, Nachfragen bekommen würden. Ich Details erzählen müsste nur damit dann die Zeugen sagen: Das stimmt überhaupt nicht, ich hätte das gewollt. Damit der Täter dann herausgeht und keine Strafe bekommt.
Also hab ich mich nach dem Gespräch mit dem Polizisten dagegen entschieden, ihn anzuzeigen. Habe dann sieben Jahre lang mehr oder weniger mit meinem Trauma gelebt. Das Trauma wenig thematisiert, wenig darüber gesprochen, wenn überhaupt. Eigentlich gar nicht darüber gesprochen.
Mit unterschiedlichen Therapeuten versucht Therapien anzufangen, Traumatherapien. Die immer wieder abgebrochen. Und seit Kurzem mache ich jetzt eine Verhaltenstherapie. Und spreche seit zwei Monaten auch in meinem Podcast darüber.
Mai: Allein bei dem, was du erzählst, was der Polizist gesagt hat, macht mich so wütend. Wir leben in einer so starken Täter schützenden Gesellschaft. Täter die sexualisierte Gewalt ausgeübt haben. Das eine ist: Die Wahrscheinlichkeit ist gering, dass bei Aussage gegen Aussage etwas passiert. Andererseits gibt es genug Fälle, wo die Zeugen unter Eid lügen heißt, die knicken kurz vorher ab und sagen vielleicht doch anders aus.
Aber, dass einem schon bei der Polizei, bevor du angezeigt hast, nur im Vorgespräch ist, von einem Polizisten davon abgeraten wird eine Straftat, anzuzeigen?
Katie: Das auch noch von einem Mann.
Mai: Das ist echt krass. Dann zeichnet er einem noch das negativste Bild auf, was sein kann. Einerseits ist es ganz nett. Mein Papa hat mich auch am Tag vor meiner Anzeige gefragt, ob ich das wirklich will, lohnt sich das? Ich weiß, dass er es nur nett meinte. Er wollte mich schützen, dass ich eben nicht das ganze Prozedere durchgehen muss und am Ende der Täter vielleicht freigesprochen wird oder die Anzeige fallengelassen wird.
Es ist aber so krass bevormundend. Es ist so krass Täter schützend, wenn uns Frauen schon abgeraten wird, überhaupt Anzeige zu erstatten. Wie viele Dunkelzahlen haben wir dann eigentlich wirklich? Und gleichzeitig kann ich deine Entscheidung total gut verstehen, wenn einem ein Polizist so ein Horrorszenario erzählt.
Katie: Nach dem Gespräch habe ich versucht, meine Seele zu schützen. Mein Körper und meine Seele wurden schon genug verletzt, dass ich, als ich dort saß und er zu mir sagte, was da alles auf mich zu kommen würde, habe ich meine gesplitterte Seele, die so viel durchgemacht hat, einfach mal heilen lassen.
Ich finde es sehr hart, was da von uns erwartet wird, wenn einem so etwas passiert. Wir sollen am besten sofort zum Gynäkologen gehen, einen Abstrich nehmen lassen und sofort zur Polizei gehen. Wenn wir überhaupt nicht laufen können. Wenn uns unser Körper sagt, dass wir uns hinlegen müssen.
Du musst dich in deine Decke kuscheln und du musst dich drei Tage einfach nur auf deinen Atem konzentrieren. Das von einem erwartet wird, dass man nach so einer Verletzung, nach sexualisierter Gewalt direkt in Aktion geht. Schwierig. Es ist, als würde man von jemandem, der gerade frisch querschnittsgelähmt ist, erwarten, dass er sich jetzt sofort auf ein Laufband stellt und wieder versucht zu laufen.
Das geht nicht. Es ist mir nicht möglich gewesen. Ich war zu Hause und habe mehrere Tage einfach nur vor mich hin vegetiert. Ich habe nicht gelebt. Ich habe geatmet und funktioniert. Dass ich den Gang zur Polizei überhaupt geschafft habe, ist ein Wunder.
Dass den Frauen nicht gesagt wird, die eigene Seele erst ein Stück heilen zu lassen, bevor du solche Schritte einleitest? Ich verstehe, dass man diesen Abstrich relativ schnell machen muss, aber mich vor einem fremden Menschen auf den Stuhl zu legen, meine Beine zu spreizen und etwas in mir zu spüren, war das Letzte, was ich wollte.
Ich glaube, da muss man nicht nur in Deutschland, sondern generell irgendwie einen anderen Weg finden, dass den Menschen mehr geholfen wird.
Mai: Ganz ehrlich, es gibt so viele Möglichkeiten, mit denen man anfangen könnte. Man könnte einführen, dass man sich für das Geschlecht des Arztes entscheiden kann. Ich kenne viele Frauen, die sagen, ich hätte lieber eine Frau gehabt, die mich untersucht.
Gleichzeitig gibt es auch ein paar wenige, die gerne einen Mann hätten. Das man als Opfer einfach selbst entscheiden darf, vor welchem Geschlecht von Arzt man sitzen mag, muss und soll.
Warum muss es eigentlich in einem klinischen Umfeld sein? Warum kommt der nicht einfach zu einem nach Hause? Weil dann ist man in seinem eigenen Zuhause in der eigenen Safezone. Dann liegt man vielleicht auf seinem eigenen Bett und hat vielleicht noch den Partner/die Partnerin an der Seite. Kuscheltier, Wärmflasche, was auch immer.
Das nimmt schon mal ganz viel Stress und Druck raus. Möglich wäre das alles. Aber der Status quo wird einfach beibehalten. Ich glaube, das ist einfach eine: “Es ist doch alles in Ordnung” - Einstellung.
Katie: Es hat auch einfach keine Priorität. Wäre es ein Thema wie Haarausfall, was Männer belastet, dann würde es dafür einen Weg geben. Es gibt dafür Wege. Da gibt es zig Pulver, die sich Männer auf den Kopf schmieren und dann sieht es so aus, als hätten sie Haare. Es gibt Wege für alles.
Es hat nur einfach keine Priorität. Frauen haben keine Priorität. “Survivors” sowieso nicht.
Mai: Deswegen sind wir ja hier. Deswegen sind wir laut.
Mai: Du hast davon erzählt, dass du ganz viele unterschiedliche Therapien gemacht hast, bei verschiedenen Therapeuten/innen. Was waren deine Therapie Erfahrung? Was hat dir total gut geholfen und was hat dir gar nicht geholfen?
Katie: Ich habe direkt nach der Tat mit einer Kinder- und Jugend Psychologin über Schlafstörungen gesprochen. Zu dem Zeitpunkt habe ich noch nicht offen darüber gesprochen, was mir passiert ist. Das bestand aus, Bilder anmalen und mit kleinen Holzklötzen Szenarien nachbauen. (Mai grinst) Das hat mir nicht geholfen.
Dann war ich zweimal in Traumatherapie. Beide Male bestand diese Traumatherapie daraus, dass ich mein Trauma wieder und wieder erzählen musste und mich wieder und wieder darin geschult habe. Die Therapeutin mich angeschaut hat und gesagt hat, dass ich jetzt weinen darf.
Ich habe 7 Jahre nicht über das Erlebte geweint. Weinen war auch nicht die Emotion, die ich für authentisch gehalten hätte. Aber jeder Therapeut hat das von mir erwartet. Ich sollte immer weinen.
Es war für die Therapeuten genau die richtige Reaktion. Und das hat mir nicht geholfen. Das hat eher dazu geführt, dass es mir wirklich schlechter ging. Nach den Sitzungen musste mich meine Frau abholen, weil ich nicht mehr fähig war, alleine Auto zu fahren.
Ich wurde so in dieses Trauma sexualisierter Gewalt zurückgeschleudert, als wäre es wieder passiert.
Jetzt bin ich seit wenigen Wochen in Verhaltenstherapie. Die erst mal darauf abzielt, die Dinge, die durch das Trauma entstanden sind wie die Angststörung und die posttraumatische Belastungsstörung zu behandeln. Nicht damit auseinandersetzt, woher das alles kommt, sondern erst mal kurzfristige Hilfe bietet.
Das hilft. Momentan zumindest.
Mai: Das ist gut, dass du da etwas gefunden hast. Mit den Erfahrungen, die du mit Traumatherapie gemacht hast, rollen sich bei mir jedes Mal die Fußnägel hoch. Das ist dieses ganz altbackene Bild von Traumatherapie. Das man da einfach über das Trauma spricht.
Wie übergriffig ist das denn? Das dir jemand sagt, dass du weinen musst und dann bist du wieder heile? Die Hirnforschung ist heutzutage so viel weiter. Ich bin ja in einer Traumatherapie Ausbildung. Es ist einfach das Falscheste, was man tun kann. Einem traumatisierten Menschen zu sagen, er soll immer wieder die gleiche Geschichte erzählen.
Die alte Schule sagt, dass dadurch die Person abhärtet und es dadurch weniger schlimm wird. Was aber tatsächlich im Gehirn passiert ist, es kommt zu einem Flashback. Ein Flashback bedeutet nicht ein Bild, was zu 50 Prozent so ist wie die damalige Realität, sondern zu 100 Prozent. Wie wenn man in der damaligen Situation gewesen ist.
Das Nervensystem, Adrenalin, Noradrenalin, alles wird hochgefahren. Alle Bilder kommen wieder hoch. Teilweise sogar Gefühle und Gerüche und die Person ist eins zu eins in der traumatisierenden Situation.
Wenn sie damit nicht umgehen kann, was sie in der Regel nicht kann, erlebt sie das Trauma quasi noch einmal. Das macht mich so traurig und gleichzeitig wütend, dass das immer noch gemacht wird.
Ein Opfer, Betroffener beziehungsweise Überlebender möchte hier eigentlich nur Hilfe von außen. Man kann selber gar nicht so wirklich unterscheiden, welche Traumatherapie Person jetzt eigentlich was anbietet. Wer lieber das Neuere machen möchte, schaut nach Therapeuten, die eine Zusatzausbildungen wie “somatic experiencing” haben.
Das ist eine der “neueren” Methoden, wobei die auch gar nicht so neu ist. Dabei geht es nicht ins Trauma hineinzugehen, sondern eher das Nervensystem zu regulieren, und zwar außerhalb der traumatisierenden Situation.
Mai: Sexualisierte Gewalt verschafft eine tiefe Wunde, was hat dir denn beim Heilen des Traumas geholfen? Was hat dir geholfen, wieder klarzukommen? Wieder Katie zu werden?
Katie: Ich finde das Wort Heilung total schwierig. Wenn man von Heilung spricht, finde ich, dann spricht man immer von einer Verletzung. Ein gebrochener Arm, der wieder zusammenwächst und dann wieder genauso ist wie vorher.
Und ich glaube, ich werde nie wieder so sein, wie ich mit 17 war. Und das ist auch gut so. Ich meine, ich will nicht wieder 17 sein. Ich bin dadurch ein anderer Mensch geworden. Wenn wir über Heilung sprechen, dann bin ich da vielleicht bei 60,70 Prozent.
Die 100 werde ich wahrscheinlich nie erreichen, aber das ist okay. Und auf diesem Weg von: Mir ist mein Arm gebrochen und: Er ist jetzt einigermaßen wieder zusammengewachsen, zumindest so, dass ich damit wieder schreiben kann. Nicht so, dass er genauso ist wie vorher, aber ich kann ihn wieder benutzen.
Auf dem Weg hat mir jetzt vor Kurzem geholfen, den Podcast darüberzumachen. Das ist für mich ein großes Thema, das mir wirklich viel weiterhilft, weil es mir auch einfach das Gefühl gibt, dass man nicht alleine ist.
Dass viele Menschen etwas erlebt haben, was ihnen wehgetan hat und dass viele Menschen eben auch ein offenes Ohr dafür haben. Also ich glaube, der Podcast hat jetzt ein Riesenunterschied gemacht bei meinem Heilungsprozess. Vor dem Podcast hatte ich vielleicht eine Heilung von 50 Prozent gehabt.
Innerhalb dieser 2 Monate ein Satz auf 60 Prozent gemacht. Das war ein großer Unterschied. Dann hat mir meine Wahl meiner Beziehung und Lebenspartner geholfen. Ich habe vor meinem Trauma nur mit Männern geschlafen bzw. war auch nur mit Männern zusammen.
Habe auch nie thematisiert, ob was anders auch interessant für mich wäre. Nach meinem Trauma und nach der Beziehung, die ich zu dem Zeitpunkt noch mit einem Mann hatte, habe ich angefangen, mich mit Frauen zu treffen.
Das hat mir unheimlich geholfen, weil es den ganzen Druck einfach genommen hat. Diesen Druck das, was da anatomisch passiert ist, nochmals passieren könnte. Das hat sich ja alles dadurch erledigt. Ich bin jetzt verheiratet mit einer Frau, sehr glücklich und bis heute hilft mir das.
Ich glaube, würde ich noch mit Männern zusammen sein, wäre mein Heilungsstatus wahrscheinlich noch ein anderer.
Mai: Wenn du auf deinen aktuellen Alltag schaust: Spürst du im Vergleich zu anderen Menschen, dass du Einschränkungen wegen der sexualisierten Gewalt, wegen dem, was dir passiert ist, hast? Dass Dinge für dich anders sind? Dass es einfach Dinge gibt, die du nicht mehr tun kannst, wie du sie früher getan hast?
Katie: Ja, klar. Es schränkt mich nicht in dem Sinne ein, dass ich Sachen nicht mehr machen kann, sondern es sind einfach Sachen, die ich akzeptiert habe. Ich habe akzeptiert, dass ich nachts nicht mehr alleine Bahnfahren möchte. Zumindest nicht ohne Hund.
Ich gehe nicht ohne unseren großen Hund nachts Bahn fahren oder alleine im Dunkeln raus. Ich habe akzeptiert, dass ich Angst im Dunkeln habe. Auch wenn ich abends alleine in der Wohnung bin, nehme ich mindestens einen Hund mit auf die Toilette.
Ich gehe nicht mehr auf Konzerte. Ich gehe nicht mehr in Freizeitparks, aber auch einfach, weil ich diese Menschenmassen nicht einschätzen kann. Außerdem ist man in Achterbahnen in so einem Gestell fest und kann nicht raus. Auf Konzerten bin ich in einer Menschenmasse und komme nicht raus. Also alles, was mich irgendwie eingrenzt, mache ich nicht mehr so gerne, seit ich die Erfahrung sexualisierte Gewalt machen musste. Es ist nicht so, dass ich es nicht mehr kann.
Hätte ich Lust, in den Freizeitpark zu gehen, dann könnte ich das natürlich trotzdem machen. Es wäre für mich nur nicht der größte Spaß, wie es mit 16, 17 Jahren war. Ich lasse mir ungern Blut abnehmen, weil das für mich selbst einfach eine Grenze überschreitet. Etwas geht in mich und nimmt etwas aus mir heraus.
Das ist ein großes Thema für mich. Ich trinke auch keinen Alkohol. Ich nehme keine Drogen, weil das für mich Kontrollverlust bedeutet. Aber für mich persönlich ist das wie gesagt keine Einschränkung, sondern mittlerweile einfach eine Art zu leben.
Mai: Kann ich alles total gut verstehen. Die Angst im Dunkeln ist für mich auch total präsent. Der Großteil der Menschen tapst im Dunkeln durch die Wohnung und geht aufs Klo. Das ist einfach nicht mehr drin. Aber es geht anders. Es ist cool, dass es anders geht.
Katie: Es gibt ja auch Sachen, die sind für mich oder für uns komplett normal geworden. Auf dem Weg nach Hause von der Bahn habe ich den Schlüssel in der Hand. Ich habe mein Telefon immer in der Hand, weil wenn man fünfmal auf die Home-Taste drückt, wird ein Notruf eingeleitet.
Es macht ein ganz lautes Geräusch, sendet einen Notruf an die Polizei und an die wichtigsten Kontakte. Das sind für mich so kleine Helferlein. Ich habe auch ein Pfefferspray in der Handtasche. Noch nie benutzt und würde ich auch nie drankommen. (Mai grinst)
Aber einfach um zu wissen, dass es da ist und zu wissen, ich hab mein Telefon und kann einfach fünfmal drücken. Dann ist alles okay. Das ist für mich genauso wenig eine Einschränkung aber einfach eine kleine Hilfe.
Mai: Das mit dem SOS-Notruf muss ich mir anschauen, das ist ein guter Tipp.
Ich bin immer noch ziemlich geflasht von deiner Klarheit. Wie klar du bist, wie präsent du mit deinen Themen bist, mit dem, was du erlebt hast. Mit was für einer Stärke du da herausgehst, trotz sexualisierte Gewalt.
Vorhin schon kurz angesprochen. Empathie ist was, was du unglaublich krass nach dem Vorfall lernen musstest und gelernt hast. Weil du Menschen einfach ganz anders einschätzen willst und musst.
Katie: Muss vor allem. Ich habe damals mit 18 anscheinend nicht die richtige empathische Entscheidung getroffen. Jetzt habe ich gelernt, dass das wichtig ist. Jetzt bin ich sehr empathisch und schaue mir jede Situation sehr genau an. Ich komme auch in Räume rein und ich scanne den Raum nach Fluchtwegen ab.
Ich glaube, dass das auch nicht alle Menschen machen, die nicht diese Erfahrung gemacht haben. Das sind zum Beispiel Sachen, die mir überhaupt nicht bewusst sind. Ich könnte dir jetzt nicht sagen, ob das normal ist oder ob das jeder Mensch auf dieser Welt macht.
Das sind Dinge, die für mich mittlerweile Alltag geworden sind, die mir einfach Sicherheit geben. Und diese Empathie gehört auch dazu. Ich habe durch meine Empathie mehr Sicherheit, weil ich Menschen relativ schnell einordnen und einschätzen kann.
Mai: Hast du auch noch andere Fähigkeiten, wo du sagen würdest, dass die durch den Fall stark gewachsen sind?
Katie: Ich habe einen Selbstverteidigungskurs gemacht. Das ist vielleicht kein skill in dem Sinne. Erst vor kurzem, letztes Jahr. Das bietet meine Uni nämlich kostenlos an. Da haben wir dann geübt, wie man sich aus jeder Situation befreit.
Das gibt mir auch wieder Sicherheit. Ich weiß, wie ich aus Situationen rauskomme. Ich weiß nicht, was ich sonst noch für Fähigkeiten dadurch habe, weil das für mich so normal geworden ist. Ich bin sehr sensibel. Auf alles. Nicht nur auf andere Menschen, sondern auch auf Launen von Menschen. Sobald jemand seine Laune ein bisschen ändert, merke ich das.
Ich bin sehr schmerzempfindlich. All diese Sachen, die halt zur Hochsensibilität gehören. Was ich auf alle Fälle dadurch gelernt habe, ist egoistischer zu sein. Ich habe in meinem Podcast mit einer Freundin darüber gesprochen, dass ich gesagt habe, ich sei sehr egoistisch geworden.
Wo sie gesagt hat, dass das kein Egoismus ist, sondern radikale Selbstfürsorge. Das ist momentan mein Lieblingszitat, weil es so wichtig ist, dass man sich um sich selbst kümmert. Egoismus ist so ein negativ behaftetes Wort, obwohl es eigentlich etwas ganz Positives ist.
Man sollte sich selbst den Moment nehmen. Wenn man seit drei Wochen Lust hat zu baden, sollte man einfach baden gehen. Wenn man abends Lust hat, noch eine zweite Tafel Schokolade zu essen, dann soll man einfach diese zweite Tafel Schokolade essen.
Das tut nicht weh, wenn der Körper oder die Seele das braucht. Das sollte man dann einfach zulassen. Ich glaube, das habe ich auf alle Fälle dadurch gelernt, dass ich mich um mich selbst viel besser kümmern muss. Einfach mehr auf sich selbst zu hören, weil man weiß schon selber am besten, was man braucht.
Mai: Das ist ein sehr schönes Zitat.
Ich bin mit meinen Fragen durch und würde dir gerne das letzte Wort überlassen.
Katie: Also ich glaube, was für alle Leser*innen wichtig ist, ist ein bisschen mehr auf sich selbst zu hören und euch selbst als wichtigsten Menschen in eurem Leben zu akzeptieren. Denn wenn ihr euch nicht gut genug um euch kümmert, wer soll es dann machen?
Deswegen würde ich auch quasi mein letztes Wort mit letzten Worten meiner Freundin beenden. “Das ist kein Egoismus, das ist radikale Selbstfürsorge.”
Mai: Amen. Danke dir Katie.
Katie: Ich danke dir.
Das war das Interview mit Katie Aenderson über ihre #metoo-Story und wie sie die Stärke gefunden hat darüber zu sprechen. Ihr seid nicht alleine.
Wenn ihr meine #metoo-Story noch nicht kennt, oder die einer anderen Betroffenen, lest euch gerne noch einen Blogpost von mir durch.
Bis bald! Deine Mai 💛
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Hi, ich bin Mai 😊 Ich habe es mir zur Aufgabe gemacht Opfern sexuellen Missbrauchs zu zeigen, dass sie nicht alleine sind. Auch wenn eure Scham und Angst etwas anderes erzählen: Das ist nicht wahr! Und es kommt noch besser: Der richtige schöne Teil eures Lebens liegt noch vor euch! Ich habe es geschafft, aus dem schlimmsten Erlebnis meines Lebens, eine enorme Kraft zu ziehen & mein Leben nach meinen Ideen neu zu gestalten - also kannst du das auch! Deine Mai 💛
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„Trapped in yourself, break out instead
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aus einem Song von GA.. ^^
Bless you all! : *