In diesem Podcast Teil Eins von Zweien, geht es vorwiegend um das Thema sexuelle Belästigung gegen Frauen oder Männern am Arbeitsplatz. Der heutige Gast Dr. Christina Hermann ist Heilpraktikerin für Psychotherapie, Supervisorin und Projektmanagerin und gibt Tipps an welche Organisationen man sich als Opfer wenden kann. Hier gehts zum zweiten Teil.
Mai: Hi und herzlich willkommen zu einem neuen Interview. Heute mit einer ganz tollen Interviewpartnerin: Dr. Christina Herrmann. Sie ist Heilpraktikerin für Psychotherapie, Supervisorin und Projektmanagerin.
Super interessante Themen und ich freue mich das Christina Lust hat, ein Interview zu führen. Herzlich willkommen Christina magst du dich selber mal vorstellen?
Christina: Hallo Mai, es freut mich das ich an deinem Interview teilnehmen darf. Ganz kurz zu mir, du hast das meiste ja auch schon gesagt, ich bin in meiner eigenen Praxis, in Aachen, Nordrhein-Westfalen seit 2007 tätig.
Ich habe Theologie, Psychologie und Pädagogik studiert unter anderem auch im Ausland. Neben meiner selbstständigen Praxis bin ich auch noch in einem Bildungshaus angestellt.
Dort habe ich das Vergnügen und auch immer wieder die Lust, große deutsche und internationale Projekte zu Themen wie Menschenrechte, speziell Frauenrechte und Arbeitnehmerrechte durchzuführen und auch zu begleiten, zu managen und große Teams zu leiten.
Mai: Wie stehst du im Zusammenhang mit sexuellem Missbrauch, #metoo? Was ist dein Background zu dem Thema?
Christina: Ein doppelter. Zum einen kommen Menschen, die davon betroffen sind in meine Praxis, entweder zu mir als Therapeutin, witzigerweise aber vorwiegend zu mir als Supervisorin.
Zum Anderen haben wir überlegt in der Bildungseinrichtung, in der ich tätig bin, aus der Erfahrung heraus die wir ständig machen, ein bundesdeutsches Projekt anzustoßen.
Genau zu diesem Thema, um herauszufinden wie sich Unternehmen, Führungskräfte aber vor allem auch Auszubildende vor sexuelle Belästigung gegen Frauen am Arbeitsplatz schützen können.
Dieses Projekt ist jetzt, Ende 2019 abgeschlossen worden und die Ergebnisse kann ich gar nicht immer wieder genug der Öffentlichkeit präsentieren. Wie auch das, was ich immer wieder in meiner Praxis erlebe, um damit immer mehr Menschen und vor allen Dingen Frauen zu schützen.
Mai: Super spannend. Magst du uns die Ergebnisse mal präsentieren?
Christina: Sicher. Ich denke sexuelle Belästigung gegen Frauen am Arbeitsplatz tritt viel häufiger auf, als uns allen so bewusst ist. Wir sind alle durch #metoo wachgerüttelt worden aber es ist ja nicht erst seit gestern entstanden, sondern das gibt es schon ewig.
Wir mussten leider feststellen, dass die wenigsten es gerne hören wollen. In den Unternehmen ist es zwar immer wieder ein Thema und wird natürlich durch das Gleichbehandlungsgesetz auch behandelt.
Es ist mit Schutzvorschriften bedacht aber #metoo findet ja nicht so statt das es jeder sieht, sondern #metoo ist eine heimliche, aus Scham besetzte, widerliche Handlung an Menschen, die das zunächst mal ertragen und sich nicht zur Wehr setzen.
Bis es auffällt haben es schon viele Leute verdeckt und versteckt. Das ist in Unternehmen, auch in Haushalten oder unter Freunden und Verwandten so.
Unternehmen preisen sich zwar gerne mit “diverse Strategien”, was aber überhaupt nicht heißt, dass sie sich gegen diesen sexuellen Missbrauch an Arbeitsplätzen einsetzen und sie mögen sich ungern damit beschäftigen, weil es eine schlechte Publicity bringt.
Wenn ich allerdings mit Unternehmen arbeite, ist ganz oft das Kind schon in den Brunnen gefallen. Dann gibt es Fälle.
Mai: Das heißt, du wirst in das Unternehmen gerufen, oder wie kann man sich das vorstellen, was ihr getan habt?
Christina: Beides. Entweder kommen die Menschen in meine Praxis, dann sind es Betroffene, betroffene Frauen, leider immer noch vorwiegend ein “Frauenthema”.
Oder es kommen Menschen zu mir, die diese Frauen als Personaler begleiten, um dann nach einem Ausweg zu suchen und auch in dieser kritischen Situation im Betrieb zu schauen, wie man damit umgehen kann.
In den Betrieben werden wir dann gerufen um die Betriebe mit sinnvollen Präventions-, Interventionsmaßnahmen zu beglücken.
Wir arbeiten auch mit dem Notruftelefon für Frauen und Männern zusammen, was ich auch ganz wichtig finde, weil das natürlich eine Organisation ist, die wichtig ist um an die, die Opfer weiterzuvermitteln.
Man ist ja auf Unternehmensebene wo man weniger bei den Opfern direkt ist und keine Therapie durchführen kann.
Mai: Cool das ihr da so vernetzt seid. Was macht ihr da genau bei den Unternehmen? Ich komme ja auch aus einer Großunternehmenswelt und wenn ich mir vorstelle was wir da gemacht haben, irgendwelche riesengroßen Konzepte wo am Ende dann nie wirklich etwas hängen geblieben ist. Was habt ihr da gemacht? Gerade das mit dem Projekt finde ich spannend.
Christina: Wir gehen sehr viele kleinschrittiger vor. Natürlich ist es etwas was am Ende ein Unternehmen im gesamten Umsätzen muss und natürlich ist es etwas was vom Kopf bis an die Füße gehen muss. Es muss eine Entscheidung von Führungskräften sein, sich damit zu befassen auch das ist klar. Die zunächst einmal zu gewinnen ist schon schwierig genug.
Aber was wir dann machen ist, Bilder von Männern und Frauen zu sensibilisieren.
Die klassische Frage ist: “Was ist eigentlich typisch Frau und was ist typisch Mann?” Denn diese ganzen Missbräuche am Arbeitsplatz haben natürlich etwas mit Macht und Ohnmacht Gefälle zu tun, sie haben etwas mit Vorurteilen zu tun, sie haben etwas mit sozialer Diskriminierung zu tun.
Wir klären ganz kleinschrittig auf und machen auch Übungen dazu. Wir reden mit den Führungskräften zu diesen Themen und es ist wirklich ganz interessant wie hartnäckig sich gewisse Vorurteile und Einstellungen halten.
Man kann es kaum glauben und das durchaus bei wirklich großen Unternehmen, wo man denkt, dass die doch eigentlich schon alles hinter sich haben. Von Diversity bis Vielfalt Gestaltung gibt es das doch alles schon. Aber weit gefehlt.
Mai: Wenn ich jetzt tatsächlich auf die Betroffenen Ebene gehe, finde ich, setzt es ganz oft schon an: “Was ist eigentlich sexuelle Belästigung?” Habt ihr da eine Definition für? Wie geht ihr da vor?
Christina: Da sind wir dem Gleichbehandlungsgesetz ganz konform, die Definition gibt es dort und wir finden die auch hilfreich und benutzen die dann auch und unterlegen die mit eigenen Bildern aus den Reihen unserer Teilnehmer.
Aus den Reihen der Leute die dabei sind, aber auch aus unseren eigenen Erfahrungen und fordern auch die Leute dazu auf das zu überprüfen. Entscheidend für uns ist, dass wir da dem Gleichbehandlungsgesetz relativ gesetzeskonform sind und auch versuchen es anzuwenden.
Mai: Laut Google, wird eine sexuelle Belästigung im Sinne des AGG’s, dem “allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz” am Arbeitsplatz, so definiert:
“Das AGG unterscheidet die allgemeine Belästigung bei der bezweckt oder bewirkt wird, dass die Würde der betreffenden Person verletzt und ein von Einschüchterung, Anfeindungen, Erniedrigung, Entwürdigung oder Beleidigung gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird, von der sexuellen Belästigung.”
Das ist spannend. Eine Unterscheidung zwischen der allgemeinen und der sexuellen Belästigung.
“Die sexuelle Belästigung ist nach gesetzlicher Definition ein unerwünschtes sexuell bestimmtes Verhalten. Eine sexuelle Belästigung liegt vor, wenn ein unerwünschtes sexuell bestimmtes Verhalten, wozu auch entsprechende körperliche Berührungen und Bemerkungen sexuellen Inhalts gehören, beabsichtigt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird.
Das belästigende Verhalten muss außerdem auch sexuell bestimmt sein. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Belästigung der Handlung zwingend sexuell motiviert sein muss. So hat das Bundesarbeitsgericht z. B. entschieden, dass der absichtliche Griff in den Schritt, unabhängig von der eigentlichen Motivation der handelnden Personen immer auch ein sexuell bestimmtes Verhalten ist.
Sexuelle Belästigung gegen Frauen am Arbeitsplatz hat nämlich häufig nichts mit entsprechendem Lust empfinden zu tun, sondern hängt vielmehr mit der Ausübung von Macht zusammen.”
Genau was du gerade gesagt hast.
“Während die allgemeine Belästigung ein feindliches Umfeld und somit meist ein kontinuierliches belästigendes Verhalten voraussetzt, löst bereits eine einmalige sexuelle Belästigung ohne weiteres die Schutzfunktion des AGG aus.
Unabhängig hiervon können auch entsprechende strafrechtliche Konsequenzen folgen. Zu denen, über das AGG hinausgehende, strafbare Handlungen gehören beispielsweise der sexuelle Missbrauch von Schutzbefohlenen auszubildenden oder exhibitionistische Handlungen.
Eine sexuelle Belästigung setzt übrigens nicht zwingend voraus, dass die oder der Belästigende und die oder der Betroffenen ein unterschiedliches Geschlecht haben. Sexuelle Belästigungen finden auch zwischen Personen gleichen Geschlechts statt, und zwar sowohl unter Frauen als auch unter Männern.”
Wow. Das ist mal ein sehr präziser, cooler Text.
Christina: Ja also ich finde der macht es nämlich sehr schön deutlich, dass es da gar nicht um Lust oder das Verlangen sich sexuell das zu holen, was man sonst nicht bekommen kann, gehen muss.
Ich finde es wunderbar das da im AGG von anderen Diskriminierungen und Belästigungen unterschieden wird und das wir in dieser deutschen Gesetzgebung tatsächlich etwas haben, wo auf sexuelle Belästigung einen besonderen Wert gelegt wird. Das finde ich äußerst schätzenswert.
Mai: Also mich flasht das gerade total. Ich wusste, es gibt einen Unterschied aber es ist wirklich so klar und präzise formuliert, dass es mich selber gerade aufgeklärt hat.
Wenn jetzt gerade Leser oder Leserinnen auch das Gefühl haben, sexuelle Belästigung gegen Frauen oder Männern am Arbeitsplatz erfahren zu haben, was können sie tun?
Christina: Das AGG muss ja tatsächlich jeder Betrieb anwenden. Was sie also als Erstes einmal tun müssen, ist ihre Angst überwinden. Und das ist leichter gesagt als getan. Was ihnen gerade in der Situation besonders fehlt, ist Schutz.
Es gibt im Betrieb mehrere Möglichkeiten: Zum einen muss es in den Betrieben eine AGG Beschwerdestelle geben. Die kann aber auch allein durch den Arbeitgeber ausgeführt werden, was es dann schon wieder schwer macht.
Sie können sich an den Betriebsrat wenden oder an die sogenannte AGG Beschwerdestelle, so sie denn allen bekannt ist.
Nach meinen Erfahrungen, die ich mit Unternehmen gesammelt habe, wussten die zum Teil gar nicht das es in ihren Häusern AGG Beschwerdestellen gibt. Das fand ich hoch spannend, weil wer soll denn dann die Menschen schützen?
Was die Betroffenen noch tun können, ist sich an externe Beratungsstellen wenden die jenseits von Unternehmen liegen und dann an die entsprechenden Frauen Notruftelefone oder inzwischen auch Männer Notruftelefone.
Die gibt es in jeder Stadt, fast in jeder Kleinstadt und sind bundesweit organisiert. Sie können sich außerdem an die Antidiskriminierungsstelle des Bundes wenden. Auch dort sind Hilfe-Telefone freigeschaltet.
Ich glaube das jede Frau und jeder Mann inzwischen relativ gut beraten wird.
Mai: Sind auch viele Möglichkeiten. Nochmal zu dem schwierigen Teil den du gerade genannt hast: die Angst überwinden. Wenn ich mir vorstelle ich arbeite in einem Betrieb und im schlimmsten Fall ist es mein Chef.
Es hat ja genau wie es auch im Gesetz steht, viel mit Macht und Angst zu tun und nachher werde ich noch mehr schikaniert. Dann geht es mir nachher schlechter als vorher, wenn ich etwas sage. Was sagst du dazu? Wie würdest du jemanden ermutigen?
Christina: Ja das ist in der Tat schwierig, wenn es Vorgesetzte sind, die das tun. Dann komme ich relativ wenig weit. Eigentlich komme ich nirgendwohin da ich ja niemanden mehr habe der mein Fürsprecher ist.
Ich könnte mich aber in jedem Falle und immer an die entsprechende Interessenvertretung wenden. Das kann ich immer tun und die sollte im besten Falle auch nicht von jener Führung abhängig sein.
Ich sollte unbedingt meine Angst überwinden um einen anonymen Anruf in Richtung eines dieser Hilfe-Telefone tätigen. Das sollte ich auch niemals nicht tun.
Ich kann nur alle Frauen ermutigen dort anzurufen, das sind Menschen, die hoch geschult sind anonym auf diese Anrufe zu reagieren, die es gelernt haben mit Opfern in diesen heiklen Lebenssituationen umzugehen, die sofort Erste Hilfe in Kriseninterventionsform anzubieten.
Was Besseres kann einem in dieser anfälligen Zeit gar nicht passieren. Für gewöhnlich wird es nicht den Freunden und Freundinnen erzählt, das fällt zumeist aus. Viele verdrängen es erst einmal ganz lange bevor es dann irgendwann wieder zutage tritt.
Das hinterlässt immer eine Traumatisierung und Belastungsstörung. Aber ich kann nur jeder Frau, jedem Mann dazu raten sich, und wenn es nur anonym ist, an eine Hilfseinrichtung telefonisch oder auch per Chat zu melden.
Mai: So ein Hilfe-Telefon finde ich vermutlich einfach über Google: Hilfe-Telefon und Städtenamen?
Christina: Genau, das ist ganz schnell rausgefunden. Oder wie gesagt auf der Webseite der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, dort gibt es all diese verfügbaren Daten. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes berät in Fragen um Diskriminierung am Arbeitsplatz und hat sämtliche Einrichtungen gelistet.
Mai: Du hast ja auch eine ganz besondere Beziehung zu den Notruftelefonen?
Christina: Erstmal bewundere ich die Frauen und Männer die das tun. Inzwischen gibt es das auch für Männer. Ich finde es großartig, wenn man sich persönlich an diese wendet und nicht dort anruft. Man kann natürlich auch Beratungstermine vor Ort in deren Räumlichkeiten machen.
Dann gibt es sowohl als Frau als auch Mann gibt es zwei separate Eingänge, einer für Männer Opfer, einen für Frauen Opfer.
Aus meiner Sicht wäre für mich als Opfer ganz wichtig, dass ich nicht beobachtet werden kann, dass ich nicht abgefangen werden kann, dass ich nicht gesehen werden kann. Ich sozusagen als Person X reingehe und als Person X auch wieder hinausgehe.
Dazwischen aber eine exzellente Beratung habe.
Ich würde dann auch nicht von einem Mann begrüßt werden wollen und das finde ich von Seiten dieser Einrichtung glänzend. Niemand weiß ja in dem Augenblick wo das Opfer die Beratungsinstitution betritt, wie das Opfer aufgestellt ist.
In jeder Luft kann ein Trigger liegen, jedes Parfum, jede Kleidung, jede Farbe. Diese Beratungszentren versuchen eine möglichst Trigger arme Umgebung herzustellen, um diese Beratung überhaupt zu ermöglichen.
Und dann hat man es in diesen Beratungsstellen mit Menschen zu tun die diese Thematik schon seit Jahren verfolgen.
Menschen mit sehr langer Erfahrung, die viele verschiedene Ausbildungen haben, von der Trauma therapeutischen Ausbildung bis hin zur psychologischen Psychotherapeutin, mit anderen Ausbildungen in der Familientherapie oder systemischen Familientherapien. Da sitzt einfach eine Unmenge an Kompetenz.
Wenn man dort dann als Opfer hineinkommt, bekommt man einen ruhigen, separaten Raum zugewiesen. Das erste, was diese Menschen tun, wenn sie auf diese Opfer treffen, ist zuhören.
Für mich ist es ganz wichtig, wenn ich auf diese Menschen treffe, den völlig Wertungsfreien Zugang zu haben. Wertung insofern: das, was dieser Mensch mir entgegenbringt, entbehrt jegliche Wertung.
Zum Beispiel: “Hättest ja auch keinen Minirock anziehen müssen.” Wer hat das bitte noch nicht gehört? Zumindest kenne ich das noch aus frühster Zeit. Das ist derartig entwertend, das geht natürlich nicht.
Ich muss zuhören können. Ich muss Wertfrei zuhören können. Ich finde es auch ganz schlimm, wenn man nach zwei Minuten schon einen Ratschlag parat hat.
Diese Opfer-Auffangstellen oder Beratungsstellen sind speziell darin geschult.
Mai: Ich bin gerade persönlich sehr baff. Wenn ich jetzt gerade mal drei Jahre zurückgehe, wo ich mich entschlossen hatte anzuzeigen und nach Hilfe gesucht habe.
Wäre das eine Hausnummer gewesen, die mir sehr geholfen hätte. Ich habe mich damals an den “Weißen Ring” gewandt, weil das die einzige Opferhilfsorganisation war, die ich kannte.
Das einzige was mir irgendwie noch im Kopf geblieben ist, weil ich mal eine Zeit lang für einen Kinder- und Jugendverein gearbeitet habe und der Name einfach irgendwann mal gefallen ist.
Und wer kam dann zur Beratung zu mir nach Hause? Ein Ende 60 Jahre alter Mann.
Ich habe ganz explizit gesagt worum es ging: sexueller Missbrauch in der Kindheit, heute bin ich Mitte 20 und hätte gerne eine Beratung.
Ich bin sehr dankbar für die Hilfe, die ich überhaupt bekommen habe. Im Nachhinein denke ich mir aber, es hätte an der ein oder anderen Stelle noch ein bisschen besser sein können.
Christina: Das würdest du bei den Frauen Notrufen ganz sicher so nicht erleben.
Mai: Das ist schön zu hören. Dann weiß ich was ich in Zukunft empfehlen kann. Ich bekomme nämlich regelmäßig Nachrichten wo mich Leute fragen wie und wo sie Hilfe bekommen können. Oder sie kennen da jemanden: “Wie mache ich das, wie spreche ich das an?”
Das ist ein unglaublich wertvoller Tipp. Danke dir.
Christina: Sehr gerne.
Mai: Dann mag ich von den Notruftelefonen mal zur Supervision springen. Was ist das eigentlich, was tust du da?
Christina: Supra videre heißt “drauf kucken”. Ich versuche Menschen, die sich in beruflichen und persönlich-beruflichen Krisen befinden zu helfen, indem ich mit ihnen auf ihre Krise oder ihr Problem sehe.
Ich arbeite psychoanalytisch und schaue was dieser Mensch mit meinen Übertragungen usw. mit seinem Problem anfangen kann. Wir versuchen dann gemeinsam eine Lösung aus der Krise herauszufinden.
Mai: Wenn du sagst beruflich und oder persönlich bedeutet das, dass die Leute aus einem beruflichen Kontext oder einem persönlichen zu dir kommen? Oder kommen sie aus einem beruflichen der mit dem persönlichen zusammenhängt?
Christina: Sie kommen alle aus einem beruflichen Kontext. Als Team, Gruppe oder eben als Einzelperson. Das, was oftmals hinter einem Supervision-anliegen rauskommt, ist oft das Thema hinter dem Thema.
Das Anliegen ist Stress im Job und nachdem wir eine Sitzung miteinander gearbeitet haben stellt sich plötzlich heraus, dass dahinter vielleicht eine schwere Depression liegt, die eigentlich das Grundübel ist, warum dieser Mensch dann Schwierigkeiten im Job hat. Das erlebe ich in 90 Prozent aller Fälle.
Mai: Wie du mir im Vorgespräch erzählt hast, kommt bei vielen Frauen dann auch Missbrauch auf.
Christina: Richtig. Das zeigt sich bei den Fällen, die ich zuletzt hatte, bei denen es um Schwierigkeiten mit ihrer männlichen Führungskraft ging. Keine Verallgemeinerung, sondern speziell aus einem Praxisfall. Da ging es tatsächlich darum, dass die Frau eine Konflikteskalation mit ihrer Führungskraft erlebt hat, die Führungskraft ist dann auch ausgerastet und die Frau hat sich nicht mehr vor die Tür gewagt, ist auch nicht mehr hingegangen und hat schlussendlich zur Kündigung geführt. Die Frau kam mit riesigen Selbstzweifeln. “Er hat ja recht.”
Nach einer Stunde Arbeit sind wir tatsächlich dazu gekommen, dass sie selbst gemerkt hat, das das Problem woanders liegt und ist dann irgendwann darauf gekommen das es in ihrer Pubertät einen Missbrauch gegeben hat. Und hat dann von alleine aus die Verbindung hergestellt.
Mai: Du hast sie also dabei begleitet aber sie ist selber zu dem Schluss gekommen?
Christina: Genau. Ich habe eine Vermutung gehabt, dass etwas Ähnliches dahinter liegt aber ich hüte mich natürlich solche Dinge zu sagen. Ich finde es ohnehin besser, wenn dieser Mensch dieses Erlebnis für sich selbst entdeckt.
Schlimm ist es dann, wenn man das in einer Sitzung erlebt und dann keinen Schutzraum mehr anbieten kann, sondern nur notdürftig zusammengeflickt diesen Menschen mit dieser Erkenntnis dann erst mal wieder nach Hause gehen lässt. Das darf eigentlich nicht passieren.
Mai: Passiert das?
Christina: Ja das passiert, wenn man als Supervisorin gänzlich unvorbereitet aus so einer Sondersitzung heraus schlittert. Ich denke auch da ist es wichtig, rechtzeitig ein Stoppsignal zu setzen:
Bis hierher können wir jetzt arbeiten und für den Rest muss einfach geschaut werden, dass sie andere Hilfe finden und das muss dann auch noch organisiert werden. Alles andere wäre sozusagen Todesmut.
Mai: Übernimmst du dann auch, nach der Supervision, wenn die Person das wünscht, die Person als Therapeutin, weil du auch Therapeutin bist oder gibst du das weiter?
Christina: Ich gebe das weiter, weil die Begegnung mit der Klientin war eine supervisorische Begegnung und nun braucht sie einen therapeutischen Schutzraum, der ganz anders ist, als der den ich zuvor angeboten habe.
Mai: Du machst da keinen Übergang, obwohl du das anbieten könntest?
Christina: Nein. Ich halte es nicht für günstig und ich halte es auch für günstiger, wenn man da Therapeuten findet die eine eigene und spezifische Trauma-therapeutische Ausbildung haben.
Da nichts schlimmer ist als diese Menschen noch tiefer in ihr Elend zu führen als sie eigentlich an einen fachkundigen Menschen zu überweisen. Da muss der Mensch am anderen Ende der Leitung sozusagen auch die nötige, reflektive Weisheit besitzen das zu tun.
Mai: Wie finde ich als Betroffener einen Traumatherapeuten? Wie finde ich denn jemanden der auf Traumata spezialisiert ist? Da im deutschen Gesundheits-Krankenkassen-System gibt es das offiziell ja nicht.
Es gibt eigentlich nur die drei Psychotherapie-Verfahren, die bezahlt werden und keins davon heißt Trauma-Therapie, wie finde ich jetzt jemand der auf Trauma-Therapie spezialisiert ist?
Christina: Doch, man kann danach suchen und findet sie in den entsprechenden Indizes. Man kann das Stichwort in den entsprechenden Katalogen für Therapeuten und Therapeutinnen heraussuchen, auch die, die Kassen herausgeben.
Mai: Das heißt, man kann sich einfach bei seiner Krankenkasse melden und einen Katalog anfordern?
Christina: Genau, man fragt dann nach einer Liste der ortsansässigen Psychotherapeuten, mit der Klassifizierung Trauma oder posttraumatische Belastungsstörung. Dann kann man das auf diese Art und Weise herausfinden. Man kann aber auch frei im Netz, nach den Stichworten suchen und kommt vermutlich auf dasselbe Ergebnis.
Mai: Wenn die Therapeuten eine Webseite haben.
Christina: Ja das ist richtig. Dann fängt das Drama eigentlich erst an. Man ruft dort an und stößt auf eine Wartezeit von bis zu einem Jahr.
Oft sind diese Traumatherapeuten und Therapeutinnen auch noch Psychiater. Was manchmal auch gar nicht schlecht ist. Ich bin zwar nicht Verfechterin von Medikamenten aber manchmal hilft es einfach die Doppelfunktion zu wählen.
Mai: Für alle die den Unterschied nicht kennen: Ein Psychiater ist jemand, der Medikamente verschreibt und mit einem Medikamentenplan arbeitet. Jemand ärztliches.
Ein Psychotherapeut ist jemand der therapeutisch, zum Beispiel über Sprechen oder Körper Therapie arbeitet. Das war für mich gar nicht klar als ich angefangen habe zu suchen.
Ich finde es am Anfang schon wie ein Jungle, wenn man so unbedarft mit seinem allgemeinen Halbwissen herangeht.
Christina: Die Verwirrung habe ich auch regelmäßig in meiner Praxis sitzen. Wenn die Leute dann sagen sie glauben sie seien völlig falsch und wo sie denn hingehen sollen. Das ist in der Tat schwer. Wobei auch die Psychiater gleichzeitig Psychotherapeuten sein können.
Die Mediziner haben nur eine relativ kurze Zusatzausbildung um auch psychotherapeutisch tätig sein zu können. Und die anderen sind die psychologischen Psychotherapeuten oder Heilpraktiker Psychotherapeuten, auch da gibt es ja noch mal eine Unterscheidung.
Also Ich glaube schon, das das einen ziemlich fertig machen kann, wenn man anständig suchen möchte.
Mai: Ja definitiv. Aber ich glaube, das hilft nochmal einfach bei der Krankenkasse oder im Internet mit den Schlagworten zu schauen.
Bei meiner Therapeutin, die ich dann gefunden habe, war das Schlagwort Trauma witzigerweise dabei. Als ich dann aber bei ihr saß, meinte sie im Prinzip seien ja alle großen einschneidenden Erlebnisse ein Trauma, und das sowieso mit Therapie gearbeitet wird.
Im Nachhinein wo ich jetzt mehr im Thema drin bin, ich mache gerade eine Ausbildung zur Heilpraktikerin und Psychotherapeutin, genau wie mit dem Weißen Ring versus Notruftelefon denke ich mir, das es auch anders hätte sein können.
Christina: Ich finde es auch schwierig, ich kann das so formulieren, es ist auch nicht falsch. Die Frage ist für mich ist aber immer: Was ertrage ich als Opfer, wenn ich eigenständig in eine solch eine Sitzung komme und was möchte ich eigentlich?
Ich glaube es gibt zumindest zwei Typen, die ich erkennen kann. Die einen sind die, die es möglichst klein gebacken haben wollen, also möglichst wenig Opfer und möglichst alles schnell hinter sich bringen.
Die anderen sind die, die überhaupt erst mal als Opfer gesehen werden möchten. Und wenn ich dann höre: “Trauma hat ja jeder, ein bisschen vergewaltigt werden, das hat ja jeder mal.” und das machen wir dann weg.
Mai: Das hat mich damals auch erst einmal ein bisschen aus der Bahn geworfen. Ich meine die Statistik die ist klar: Jede dritte Frau erlebt in ihrem Leben einmal sexuellen Missbrauch und oder Belästigung, Gewalt.
Aber die Zahl bei der ersten Therapiesitzung an den Kopf geworfen zu bekommen, von wegen das sei was Normales, was jede dritte Frau erlebt.
Christina: Ich finde das unverantwortlich, aber das ist meine persönliche Meinung.
Mai: Ich würde es auch nicht so machen. Nochmal zurück zur Supervision. Bevor ich angefangen habe mich mit Persönlichkeitsentwicklung und Therapie auseinanderzusetzen habe ich noch nie etwas von Supervision gehört.
Du erzählst das halt mal so locker flockig das da Leute aus Unternehmen zu dir kommen. Wie erfahren deine Kunden von Supervision? Wer bezahlt das? Kann ich da zu meinem Chef hingehen und sagen: Hey Chef, ich bräuchte eine Supervision kann man das irgendwie auf der Kostenstelle abrechnen?
Christina: Tatsächlich genauso. Es gibt verschiedene Typen und Angebote. Viele Vorgesetzte oder viele Führungskräfte die daherkommen würden niemals sagen: “Ich gehe zur Supervisorin.” Die sagen: “Ich geh zum Mental-Coach, zum Life-Coach.”
Hauptsache es hört sich so an als würde man danach etwas ganz Starkes aus sich machen. Noch besser, noch schneller, noch höher, noch weiter, noch klüger, noch perfekter in meinem Unternehmen.
Ich würde das nur bedingt Coaching nennen. Ein paar Teile davon sind Coaching, einige andere, wesentliche aber Supervision. Hört sich einfach nur scheiße an.
Mai: Das erklärt vielleicht, warum ich das in 7 Jahren Großkonzern noch nie im Unternehmenskontext gehört habe.
Christina: Du kannst aber versichert sein das die Großkonzerne es regelmäßig nutzen.
Mai: Und das ist gut.
Lese hier weiter für den zweiten Teil des Interviews mit Dr. Christina Herrmann in dem es um die Unterschiede zwischen Coaching, Supervision und Therapie geht. Außerdem erklärt sie wie unsere Psyche als Schutzmechanismus des Körpers reagiert und was Christina von der Verwendung des Begriffs "Opfer" hält.
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Hi, ich bin Mai 😊 Ich habe es mir zur Aufgabe gemacht Opfern sexuellen Missbrauchs zu zeigen, dass sie nicht alleine sind. Auch wenn eure Scham und Angst etwas anderes erzählen: Das ist nicht wahr! Und es kommt noch besser: Der richtige schöne Teil eures Lebens liegt noch vor euch! Ich habe es geschafft, aus dem schlimmsten Erlebnis meines Lebens, eine enorme Kraft zu ziehen & mein Leben nach meinen Ideen neu zu gestalten - also kannst du das auch! Deine Mai 💛
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