Spätfolgen sexueller Misshandlung - Die MeToo Geschichte von Sophie😉

Spätfolgen sexueller Misshandlung – Die MeToo Geschichte von Sophie

Nov. 27

Spätfolgen sexueller Misshandlung fallen drastischer aus als man manchmal denkt. Traumas die noch tief fest sitzen werden im Alltag immer wieder getriggert und so reagiert der Körper beziehungsweise die Psyche darauf mit ihren Schutzmechanismen, die uns teilweise fast lahmlegen können.

In diesem Interview ist Sophie zu Gast, die mit 6 Jahren mehrmals, auch von unterschiedlichen Männern sexuell missbraucht wurde. Sie erzählt uns ihre Geschichte und wie sie mit Spätfolgen sexueller Misshandlung wie Depressionen, Ängsten, Essstörungen und Panikattacken umgegangen ist.

Im zweiten Teil erfährst du dann, wie sie sich dann dazu entscheidet, sich von außen Hilfe zu holen und nach einer guten Klinik sucht.

Mai: Hi und herzlich willkommen zu einem neuen Interview. Es dreht sich mal wieder um das Thema #metoo. Wer sich von euch da angesprochenen und getriggert fühlt und das nicht weiter lesen mag, lass das gerne und schau wo du dir Hilfe holen kannst. Weißer Ring, selber Psychotherapeuten suchen, mit Freunden, Freundinnen quatschen, was auch immer dir guttut.

Ich habe heute einen ganz besonderen Gast bei mir, die Sophie. Wir haben uns auf unterschiedlichen Veranstaltungen kennengelernt und sind uns unter anderem durch das Thema #metoo näher gekommen. Sie hat auch Missbrauchs Erfahrungen gemacht und ich habe mir zur Aufgabe gemacht viele unterschiedliche Sichtweisen von Menschen aufzuzeigen. Denn es gibt kein Stereotyp von einem Opfer oder ein richtig bzw. falsches Verhalten bei bestimmten Erlebnissen.

Deswegen finde ich es so cool das Sophie heute da ist und uns einfach ihre Sichtweise, ihr Erlebnis, ihr Erleben zeigt und sich ganz offen, authentisch und verletzlich für euch öffnet. Vielleicht fühlt sich ja jemand davon inspiriert und motiviert oder ihr bekommt zumindest eine bessere Einsicht und könnt, wenn ihr das nächste Mal jemanden trefft etwas anders damit umgehen und die Person nicht bemitleiden müsst.

Hi Sophie, cool das du da bist. Magst du ein paar Worte über dich erzählen?

Sophie stellt sich vor und warum sie sich entschieden hat über Spätfolgen sexueller Misshandlung zu sprechen

Sophie: Hi, freut mich auch sehr das ich hier sein darf. Ja gerne. Ich komme aus Mannheim, bin Mitte, Ende 20. Studiere noch, bin jetzt aber fast fertig. Fange im Sommer dann an zu arbeiten und ja ich bin ein total aktiver Mensch, bin gerne unter Menschen, viel unterwegs, interessiere mich viel für Meditation und Spiritualität im Allgemeinen.

Mai: Wie kam es für dich dazu, dass du für dich entschieden hast, dass du hier mit mir öffentlich, offen über das Thema Spätfolgen sexueller Misshandlung sprechen möchtest?

Sophie: Einerseits habe ich deine Posts schon lange verfolgt und fand das unglaublich bewundernswert das jemand so offen mit dem Thema umgeht. Und so viel Zeit in ein Thema gibt, welches soviel Verletzlichkeit, Gedanken und Gefühle, die durch das Ganze ausgelöst wurden, hervorruft. Ganz besonders Dinge, die noch im Prozess der Verarbeitung sind und bei denen man dann noch besonders verletzlich ist.

Das hat mich besonders beeindruckt. Andererseits ist es auch für mich ein Thema, mich damit zu zeigen, damit da stehen zu können und zu sagen: “Ja, das ist mir passiert.”

Dass mich das aber auf keinen Fall zu einem schlechteren Menschen macht und auf keinen Fall bemitleidenswert oder das ich mich dafür nicht schämen muss, sondern es ist mir passiert ist und ich etwas daraus gemacht habe.

Mai: Das ist ja ein langer Erkenntnisweg. Ich würde behaupten du und ich glaube auch kaum ein anderes Opfer, kann das direkt nach der Tat sagen. Das, was du gerade geteilt hast, ist wahrscheinlich dein heutiges Verständnis davon.

Dass du dafür nicht bemitleidet werden musst, dass du dich dafür nicht schämen brauchst, dass du nicht Schuld bist. Wie bist du dort hingekommen? Zu dieser sehr weißen Reflexion?

Sophie: Das hast du auf jeden Fall richtig gesagt: Es ist ein sehr langer Weg gewesen. Es hat bei mir sehr früh angefangen, dass es mir nicht gut ging. Besonders am Anfang hatte ich viel mit Depressionen zu kämpfen, mit Emotionen mit denen ich nicht zurechtkam.

Bei denen ich das Gefühl hatte, ich kann sie nicht aushalten. Ganz viele verschiedene Strategien habe ich versucht, um damit klarzukommen. Über Essstörungen und andere Dinge die mir sehr lange geholfen haben zu überleben, mein Leben irgendwie zu managen, mir es aber irgendwann so schlecht ging, dass ich ohne Hilfe nicht mehr weiterleben konnte.

Und Gott sei Dank Hilfe bekommen habe und Hilfe gefunden habe. Ich habe sehr lange Klinikaufenthalte gehabt. Die letzten drei Jahre habe ich mehr im Krankenhaus verbracht, als irgendwo anders.

Da habe ich ganz viele, wertvolle Impulse, wertvollen Input bekommen. Ich habe mich allen Dämonen, die ich erlebt hatte, die da waren, gestellt und habe in einem sehr schmerzhaften und sehr erkenntnisreichen Weg das geleistet, weswegen ich heute sagen kann das ich dankbar bin für das, was ich daraus gemacht habe.

Dankbar für das, was ich geschenkt bekommen die vielen Hilfen, die vielen Menschen, die für mich da waren, die viele Liebe, die ich erfahren habe und einfach auch die Perspektive, die Spiritualität, die mir dadurch geschenkt wurde.

Ich nur noch die Menschen in meinem Leben habe, wie zum Beispiel dich, die einfach authentisch sind und aus ihrem Herzen heraus leben.

Mai: Danke. Da waren gerade so viele Sachen drin. Ich würde am liebsten überall irgendwo einhacken. Ich fange einfach mal an, so wie ich uns beiden kennen wechseln wir das Thema sowieso ständig.

Überlebensstrategien um mit den Spätfolgen sexueller Misshandlung klarzukommen

Mich würde mal interessieren: Du hast davon gesprochen, dass du unterschiedliche Methoden zum “Überleben”, um klarzukommen genutzt hast. Zum Beispiel, dass du in die Essstörung hereingegangen bist.

Eine Frage: Welcher Art der Essstörung war es? Und zweitens: Was waren das noch für Methoden? Ich glaube einfach in dem Moment, in dem du offen damit umgehst und noch mehr solcher Überlebensstrategien, die ja genau das in dem Moment sind, teilst, können wir Anderen genau das aufzeigen, die vielleicht gerade genau das Durchleben und merken: “Stimmt, es geht gerade gar nicht ums Essen, es geht gar nicht um XY, sondern eigentlich verdränge ich was ganz anderes.

Sophie: Die Essstörung fing als Magersucht an. Das heißt, ich habe im Alter von 15 Jahren aufgehört zu essen manchmal zwei, drei Tage. Ich hatte damals eine schwierige Beziehung gehabt, meine allererste partnerschaftliche Beziehung.

Da kamen ganz viele Dinge hoch, die ich aber nicht bewusst erkennen konnte, dass da der Missbrauch aus der Kindheit hochkommt, sondern ganz viele andere Dinge, wie das ich gemerkt habe das ich nicht mit körperlichen Berührungen klarkomme, sich Depressionen verschlimmerten oder ich Gefühle hatte, die ich nicht zuordnen konnte.

Ich konnte das gar nicht reflektieren, da war nicht genügend Distanz. Das was ich damals gedacht und geglaubt habe, was ich eben auch durch den Missbrauch ganz oft erfahren hatte und als kleines Kind gelernt hatte, war das irgendwas an mir nicht stimmt.

Das gibt mir die Möglichkeit die Situation zu kontrollieren, weil wenn es an den anderen liegt, ist man als Kind schutzlos ausgeliefert. Man braucht die Eltern, man braucht die Freunde, man braucht die denen man vertraut, um als Kind zu überleben.

Deswegen sucht man die Schuld bei sich. Und dieses Muster, dieser Glaubenssatz ist eben geblieben. Und als es dann im Alter von 15, 16 Jahren so schwierig wurde habe ich geschaut was ich an mir verändern kann um die Situation kontrollieren zu können.

Ich hatte das Gefühl, das vielleicht etwas an mir falsch ist, vielleicht bin ich zu dick? Und ich war total normal gewichtig, eher vielleicht sogar ein bisschen zu dünn. Ich habe dann aber aufgehört zu essen, weil ich dachte, wenn ich vielleicht dünner und schlanker bin, sich etwas ändert, dann geht es mir vielleicht besser oder andere akzeptieren mich besser.

Die Magersucht ist dann irgendwann umgeschlagen. Dadurch, dass mein Körper ganz viele Probleme bekommen hatte und auf das nicht essen ganz stark reagiert hat, ist es in eine Bulimie umgeschlagen.

Ich dann sehr viel gegessen habe was ich mir sonst nicht erlaubt habe. Auch Lebensmittel, die ich aufgrund von Allergien gar nicht vertragen habe, die dann wieder erbrochenen habe, um sie meinem Körper nicht anzutun.

Damit habe ich jetzt sechs Jahre gekämpft und hab mich jetzt seit fast zwei Jahren nicht mehr übergeben.

Mai: Wow, da kannst du sehr stolz auf dich sein.

Sophie: Ja das bin ich auch. Und habe eben auch gelernt das es eine Strategie war, um mit zu viel Gefühl zu viel Anspannung, anderen Symptome klarzukommen.

Mai: Was waren andere Symptome?

Traumabekämpfung des Körpers durch Flashbacks, Intrusionen, Panikattacken - Spätfolgen sexueller Misshandlung

Sophie: Andere Symptome, die ich hatte, waren am Anfang relativ wenig. Angst, habe ich unterdrückt wie auch ganz viel anderes.

Was nach den Depressionen und den Gefühlen hochkam waren Flashbacks und Intrusionen. Flashbacks sind quasi das Wiedererleben von der damaligen Situation oder den verschiedenen damaligen Situationen ohne, dass man Realitätsbezug hat.

Und Intrusion ist, wenn man Gerüche wahrnimmt, die man plötzlich in der Nase hat oder Bilder, die einem in den Sinn kommen, die gar nicht im Raum existieren. Sinneseindrücke von damals, die wieder hochkommen, aber man weiß währenddessen das man noch in der Realität ist.

Ganz schwierig waren irgendwann meine Panikattacken die ich über ein Jahr oder fast zwei Jahre hatte. Ich hatte jetzt ganz lange keine Panikattacken mehr. Das Gefühl der Angst ist allerdings immer noch etwas, was öfter mal hochkommt und mich dann oft vor Herausforderungen stellt.

Mai: Wie gehst du damit um im Alltag um?

Wie geht man mit den extremen Traumabekämpfungen um?

Sophie: Ich habe ganz viele Methoden gelernt, eine Zeitlang habe ich jeden Tag vier- bis sechsmal autogenes Training gemacht, um die Angst auf einem niedrigen Niveau zu halten und meinem Körper Zeit zu geben sich zu stabilisieren und hochzukommen.

Das hat auch sehr gut geholfen. Aber es schränkt natürlich sehr stark ein, wenn man jede Stunde oder jede zwei Stunden, meditieren muss oder autogenes Training machen muss.
Und irgendwann hat man auch einfach keinen Bock mehr darauf.

Es kotzt einen an das man es braucht und ich bin froh, dass es mittlerweile besser geworden ist. Was mir am meisten geholfen hat, ist Angst, besonders in der Panikattacke, anzunehmen und sie genau anzuschauen egal wie schlimm es im ersten Moment ist.

Auch, wenn man denkt man hält es nicht aus. So wie, wenn man sich in den Finger geschnitten hat und es brennt fürchterlich, sich hinzusetzen diesen Finger zu nehmen, anzugucken und wirklich mal rein zu fühlen wie es brennt.

Dann auch mit dieser Angst zu reden, sich mit ihr konfrontieren und der Angst zu sagen: “Hey es ist okay. Ich schaffe dir jetzt einen sicheren Raum. Ich bin jetzt hier zu Hause in meiner Wohnung. Mir kann nichts passieren. Egal was passiert, egal wie schlimm es wird, irgendwann hört es wieder auf.”

Es hat immer wieder aufgehört und jetzt lasse ich es frei zu und schaue was passiert und dadurch zu gehen hat mir sehr viel geholfen.

Mai: Das klingt unglaublich stark. Großen Respekt dafür. Was ich mich Frage ist, du hast ja erzählt, dass dich das heute auch immer noch heimsucht und auch früher viel. Wie bist du damit umgegangen, wenn du nicht den geschützten Raum hattest? Im Studium, auf der Arbeit, früher auch in der Schule?

Wie geht man mit der Traumabekämpfung in der Familie und mit Bekannten um?

Sophie: In der Schule hatte ich sozusagen das Glück das ich mit meiner Essstörung und dem Leistungsdruck, sehr viel kompensieren und unterdrücken konnte. Das heißt, ich hatte die Symptome damals nicht gehabt.

Ich habe sehr viel gelernt und einen kranken Ehrgeiz entwickelt, der mir nicht gutgetan hat, aber eine Strategie war, die mir damals geholfen hat. Als diese Panik und Angst später dazu kam, war es am Anfang extrem schwierig für mich im Studium.

Ich musste erst einmal lernen, dass ich in den Vorlesungen jederzeit herausgehen und wieder hereinkommen kann, auch wenn es drei oder viermal in einer Vorlesung ist. Für mich war das unglaublich schwierig, weil dann alle schauen, wenn man aufsteht. Scham ist für mich ein Gefühl, welches ich sehr schwer aushalten kann.

Da habe ich viel in kleinen Schritten gelernt, aus Vorlesungen, aus Veranstaltungen und aus kleinen Kreisen herauszugehen. Ich anfange im Freundeskreis oder in der Familie darüber zu sprechen und auch einfach zu sagen, dass ich Probleme mit Angst habe und manchmal Panikattacken bekomme und nicht weiß, wo es herkommt.

Aber dann muss ich für mich sein, es darf mich niemand berühren. Also wirklich zu schauen was brauche ich in dem Moment und was nicht und wie kann ich das kommunizieren. Das war ein sehr langer Weg mich zu trauen darüber zu sprechen, weil da gab es ganz viele Ängste:

Was denken die anderen? Ist sie durchgeknallt, verrückt oder was geht bei der ab? Dass Leute sagen: Es ist doch nur ein Gefühl, ist doch gar nichts passiert, wieso ich so stark reagiere.

Diese ganzen Trigger die das auslösen. Ich hatte selbst wenig Überblick darüber was das ist. Oft sind es einfach Gedanken im Kopf zum Beispiel Angst vor Scham, Angst vor einer Scham besetzten Situation.

Allein, wenn ich im Vorlesungsraum saß und die Tür ging zu, die Vorlesung fing an, stieg mein Angstpegel erstmals richtig stark. Einfach nur, weil ich im Kopf hatte: “ Oh Gott, was wenn jetzt was ist und du gehst raus, dann gucken alle.”

Allein das hat bei mir schon so viel Stress ausgelöst und ich bin sehr froh, dass ich in der Zeit als es ganz extrem war medikamentöse Unterstützung hatte.

Die Medikamentöse Behandlung bei Panikattacken und Angst - Spätfolgen sexueller Misshandlung

Es gibt ja diese Benzodiazepine, dazu gehören Tavor und Valium, welches sehr stark Angst lösende, auch sehr stark abhängig machende Medikamente sind.

Die waren mein Notfall Medikament und bis vor einem halben, dreiviertel Jahr bin ich nicht ohne dieses Medikament aus dem Haus gegangen.

Mai: In deiner Tasche oder in deinem Körper?

Sophie: In meiner Tasche. Ich habe es zum Glück echt selten gebraucht aber ich wusste einfach: Ich habe es dabei und wenn irgendwas ist, wenn ich wirklich gerade in der Situation bin, in der Straßenbahn oder Abends unterwegs und mir jemand unheimlich vorkommt und es kommt zur Panikattacke, ich im Notfall ein Mittel habe um mich innerhalb von kürzester Zeit, das hat eine Wirkungsdauer von zehn Minuten, wieder runter zu bringen.

Was ist eine Panikattacke und was löst diese bei einem aus? Spätfolgen sexueller Misshandlung

Das Schwierige an so einer Panikattacke ist, dass man nicht einfach nur da steht und Angst hat. Ich konnte mir vorher unter einer Panikattacke nichts vorstellen. Bis ich das wirklich mal erlebt hatte.

Es gibt jetzt wenig was ich so schlimm finde wie eine Panikattacke. Früher dachte ich immer das man einfach nur ein bisschen Angst hat und man seinen Kopf nur beruhigen muss. Irgendjemand nimmt die Hand und dann ist alles wieder gut.

Bei mir war es so das in der Panikattacke Dissoziation gekommen sind. Dazu sage ich am besten gleich noch was, das Wort ist vielleicht nicht jedem geläufig.

Ich hatte in diesen Panikattacken so eine krasse körperliche und psychische Reaktion, dass ich nicht mehr in der Lage gewesen wäre Erinnerungen aufzurufen, Entscheidungen zu treffen oder die Realität um mich herum so wahrzunehmen wie sie ist.

Je nach Situation wäre das wirklich schwierig gewesen, wenn ich in der Bahn nachts oder auf dem Heimweg eine Panikattacke bekommen und dann orientierungslos bin. Das kann ein Mensch auch ausnutzen.

Was sind Dissoziationen?

Zu den Dissoziation. Es gibt verschiedene Formen, allgemein und wie es für mich ist. Bei Dissoziation gibt es verschiedene dissoziative Störungen und die Dissoziation als Symptom.

Es ist eine Schutzfunktion vom Körper. Das heißt, die ist bei jedem Menschen eingebaut. Jeder Mensch kann dissoziieren. Am besten lässt sich das glaube ich ganz gut beschreiben, wenn ihr vielleicht mal einen Autounfall hattet oder in einer Situation wart die viel Adrenaline ausgelöst hat.

In der man das Gefühl hatte, man läuft so ein bisschen entlang und handelt aber man macht alles so ein bisschen wie im Film und danach kann man sich an nicht mehr so viel erinnern. Irgendetwas Krasses, vielleicht ein Unfall der miterlebt wurde.

Es gibt aber auch leichtere Formen zum Beispiel, wenn man einfach auf der Autobahn fährt und auf die Straße guckt und wenn man angekommen ist, sich denkt: Was habe ich die letzte halbe Stunde eigentlich gemacht?

Was man im Alltag als Tagträumen bezeichnet. Das ist quasi eine eingebaute Funktion vom Körper und ist dafür da den Körper zu schützen. Das heißt, wenn eine Situation kommt, die die Psyche nicht aushält, weil sie zu extrem, zu stark, zu Gefühls-stark ist oder die Situation an sich zu belastend, schaltet der Körper in diesen Schutzmechanismus.

Bei einer Dissoziation, kappen sozusagen die Verbindung vom gesamten Hirn zum Körper ab. Das heißt der Körper und der Geist trennen sich, dass man weder Schmerzen spürt noch Gefühle wahrnehmen kann. Man kann dann in dem Moment auch keine Kälte oder keine Wärme empfinden.

Depersonalisierung und Derealisierung als Formen der Dissoziation

Spaetfolgen sexueller Misshandlung

Da gibt es verschiedene Formen, zum Beispiel gibt es die Depersonalisierung oder eine Derealisierung. Das sind zwei verschiedene Formen. Bei der Derealisierung nimmt man die Umgebung nicht mehr als real an.

Das heißt Gegenstände verschieben sich, Abstände verschieben sich, Gesichter von anderen Menschen erscheinen Wachs förmig oder fremd. Man erkennt die Menschen zwar noch aber sie sehen anders aus, gruselig, als wären die komisch geschminkt oder als wäre das Licht komisch.

Ich kann in dem Zustand zum Beispiel keine Entfernung abschätzen. Heißt, ich gucke von einem Balkon runter und weiß es ist der sechste Stock aber es sieht für mich nicht aus wie der sechste Stock.

Es sieht für mich wie ein zweidimensional aus als wäre es ein Foto, auf das ich gucke. Auch Geräusche klingen als wär Watte in den Ohren. Bei der Depersonalisierung ist es so, dass man sich quasi von seinem eigenen Körper entfremdet.

Das heißt alles außen herum, sieht normal aus, klingt normal aber der eigene Körper sieht aus als wäre es nicht der eigene. Es wirkt so ein bisschen als würde man über sich sein und von der weiteren Entfernung auf sich runtergucken, die Hände sehen weiter weg aus, als würden sie nicht zu einem gehören, als hätte man sie noch nie gesehen.

Auch der Körper fühlt sich nicht wie man selbst an, wenn man sich berührt spürt, man irgendwo ist was aber es gehört nicht so richtig zum Körper.

Mai: Danke für die ausführliche Erklärung. Also bevor du mir das zum ersten Mal erzählt hast, war mir das auch gar nicht so klar. Ich habe auch Dissoziation erlebt so wie du es gesagt hast ist das vollkommen normal, dass der Körper das tut.

Sonst würde man ja “irre” werden. Aber das es so viele unterschiedliche Formen gibt und all das in “normal” ist, das es eine Reaktion unseres Körpers ist, um uns zu beschützen. Das finde ich so schön, dass du das so klar sagst.

Sophie: Das sind auch ganz viele Dinge, die ich erst lernen musste, mit der Zeit erst begreifen musste. Auch dadurch, dass bei mir der erste Missbrauch schon im Alter von sechs Jahren stattgefunden hat, habe ich sehr früh gelernt zu dissoziieren.

Dass ich durch diese Erfahrungen in diesen Situationen, meine Psyche das nicht gepackt hat damit klarzukommen und hat angefangen zu dissoziieren, um mich zu schützen. Je früher man erstmalig dissoziiert, desto besser lernt der Körper das als Mechanismus.

Das heißt, bei mir im Körper war das sehr gut gelernt. Sobald etwas zu anstrengend oder belastend wurde, ist mein Kopf herausgesprungen. Und ich hatte diese Symptome gehabt, gerade in Panikattacken, wenn die Angst zu stark wurde, kam dann bei mir die Dissoziation.

Das war ein verrückter Teufelskreis, weil die Dissoziation mir noch mehr Angst gemacht hat und dann hat die Angst noch mehr Dissoziation ausgelöst bis ich irgendwann so abgekappt war, dass ich keinerlei Angst mehr gespürt habe aber auch nicht mehr wirklich da war.

Ich konnte noch laufen, ich konnte mich bewegen, ich konnte theoretisch reagieren aber ich hatte keinen Zugriff mehr auf Dinge wie Handlungsabläufe.

Das heißt, wenn ich gerade Zuhause gewesen wäre und ich hätte irgendwie nur noch im Kopf gehabt du wolltest gerade herausgehen, wäre ich so wie ich gewesen wäre herausgegangen, ich hätte nicht mehr dran gedacht, dass man sich Schuhe anzieht oder eine Jacke anzieht, wenn man herausgeht. Für mich ist das der schlimmste Zustand, den ich kenne, indem ich sein kann.

In der Zeit, in der ich in der Klinik war, hatte ich die Chance bekommen, ich hatte in der Zeit Medikamente genommen, die mir die Angst genommen hat. Das hat mir die Chance gegeben, dass sich diese Zustände ohne Angst kennenlernen konnte.

Das heißt, ich habe, sobald es zur Dissoziation kam, nicht sofort Panik bekommen, sondern konnte die das erste Mal wirklich anschauen und merken: Das sind Dissoziation. Ich hatte am Anfang unglaublich Angst, dass ich irgendwie eine Psychose habe, dass ich verrückt werde oder das ich nicht mehr normal werde.
Da konnte ich dann wirklich erfahren, dass es immer wieder aufhört und konnte auch Erfahrungen machen mit Dingen wie bestimmten Techniken da herauszukommen.

Mai: Bei mir sind da wieder ganz viele Fragezeichen und ich finde es so cool, dass du da so offen drüber sprichst, danke dir dafür nochmal.

Dies war der erste von zwei Teilen, wenn du jetzt wissen möchtest, wie Sophie’s Geschichte weiter geht, wie sie schließlich an den Punkt kam, sich von außen Hilfe zu holen, dann schau oder höre unbedingt auch in den zweiten Teil rein. 

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Hi, ich bin Mai 😊 Ich habe es mir zur Aufgabe gemacht Opfern sexuellen Missbrauchs zu zeigen, dass sie nicht alleine sind. Auch wenn eure Scham und Angst etwas anderes erzählen: Das ist nicht wahr! Und es kommt noch besser: Der richtige schöne Teil eures Lebens liegt noch vor euch! Ich habe es geschafft, aus dem schlimmsten Erlebnis meines Lebens, eine enorme Kraft zu ziehen & mein Leben nach meinen Ideen neu zu gestalten - also kannst du das auch! Deine Mai 💛

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