Sexueller Missbrauch Minderjähriger - durch den eigenen Bruder 🤢 (1/2)

Sexueller Missbrauch Minderjähriger – durch den eigenen Bruder 🤢 (1/2)

Sep 14
Metoo Story von Katharina

Sexueller Missbrauch Minderjähriger in der Familie ist leider keine Seltenheit, auch wenn es oft “wegen des Familienfriedens” totgeschwiegen wird. Katharina ist Opfer einer solchen Tat gewesen und ist bereit ihre Geschichte zu erzählen. 

Es geht vor allem darum, wie der Missbrauch abgelaufen ist, wie die Beziehung zu ihrem Bruder und ihrer Mutter heute ist und wie sie selbst heute als Mutter, ihre Tochter davor schützt, ein ähnliches Schicksal erleiden zu müssen.

Im zweiten Teil gehen wir detaillierter auf die verschiedenen Übungen und Therapiemethoden ein, die ihr geholfen (und nicht geholfen) haben. Wenn dich das interessieren, dann schau auf jeden Fall auch hier vorbei.

Mai: Hi und herzlich willkommen. Mein heutiger Gast ist Katharina. Sie wird uns heute über ihre ganz persönliche #metoo-Story berichten. 

Hi Katharina, schön dass du da bist.

Katharina: Vielen Dank, ich freue mich sehr. Schön, dass du dir so etwas Wichtiges zur Aufgabe gemacht hast.

Katharina wurde von ihrem Bruder missbraucht

Missbrauch durch Bruder

Sexueller Missbrauch Minderjähriger

Mai: Ich würde auch direkt das Wort an dich weitergeben. Magst du etwas über dich erzählen und wie du zum Thema Sexueller Missbrauch Minderjähriger & #metoo stehst?

Katharina: Ja. Als ich zwischen 4 und 6 Jahre alt war, habe ich sexuellen Missbrauch erlebt. Der Täter war mein Bruder, der 6 Jahre älter als ich ist. Das ist erstmal die grobe Geschichte.

Ich bin damals zu meiner Mutter gegangen und habe ihr davon erzählt. Sie ist daraufhin zu meinem Bruder gegangen und hat mir aber letzten Endes vermittelt, dass ich da etwas falsch verstanden haben musste.

Ich habe mehr als 30 Jahre lang geglaubt, dass er es geleugnet hatte. Heute weiß ich, dass mein Bruder damals nicht auf die Frage unserer Mutter geantwortet hat. Vielleicht, weil er selbst mit der Frage überfordert war. 

Das hat wahrscheinlich meiner Mutter den Anschein gegeben, dass er gar nicht weiß, wovon ich rede. Sie erinnert sich allerdings auch nicht an die ganze Geschichte, deswegen ist es für mich heute schwierig, genaue Einzelheiten zusammenzutragen.

Meine Erinnerungen sind auch bruchstückhaft. Überhaupt gibt es in meiner Kindheit und Jugend scheinbar sehr viel, was ich verdrängt habe. Das ist sozusagen meine persönliche Berührung mit dem Thema. 

Inzwischen ist es so, dass ich nur wenige Frauen kenne, die sich wirklich sicher sind, dass sie nie missbraucht wurden. Ich habe in meinem Bekannten- und Freundeskreis überwiegend Frauen, die auf die eine oder andere Art sexuell oder auch emotional missbraucht wurden.

Das Thema ist weit verbreitet, und doch wird immer noch so wenig darüber gesprochen.

Und das, obwohl es eine so große Wirkung auf den einzelnen Menschen hat. Es ist einfach ein massives Erlebnis - gerade dann, wenn die Kinder noch kleiner sind. Es ist schon schlimm genug, wenn eine erwachsene Frau missbraucht wird, aber sie ist eher dazu in der Lage, darüber zu reflektieren oder sich bewusst Hilfe zu suchen. Ganz anders als ein kleines Kind, das abhängig von anderen ist, oft sogar vom Täter.

Ich finde es ist ein Riesenthema, das viel zu wenig Bewusstsein und Aufmerksamkeit bekommt. Ich denke, dass sich da auch die Ohnmacht widerspiegelt. Das Gefühl der Ohnmacht kann durch einen Missbrauch entstehen und zeigt sich häufig im Umgang mit dem Thema. Das betrifft die Opfer selbst, aber auch alle, die damit zu tun haben oder damit in Berührung kommen.

Mai: Da sind wir auch schon in der Mitte des Spinnennetzes. Ich finde es interessant, dass du eine holistische Sicht (von oben) auf das Thema hast. Sexueller Missbrauch Minderjähriger ist irgendwie der Kern des Ganzen, aber es ist nicht nur der Missbrauch, der hier eine Rolle spielt. Es geht nicht nur darum, was einem in dem Moment passiert ist, sondern wie sich das eben weiter streut.

Wie so ein Spinnennetz, das immer mehr Fäden bekommt. 

Du stehst ja auch jetzt in der Mitte deines Lebens. Du hast über 20, 30 Jahre Psychotherapie Erfahrung hinter dir und merkst, an wievielen Stellen, das in deinem Leben überall angedockt ist. Inzwischen hast du das Thema unglaublich gut aufgearbeitet und reflektiert, dass du so toll darüber sprechen kannst.

Katharina: Und trotzdem bin ich noch nicht fertig (Mai und Katharina lachen). Trotzdem gibt es immer noch Punkte, wo ich merke, es blockiert mich, oder da sind noch Ängste vorhanden. 

Da kann die kleinste Aufgabe an mich gestellt werden, und wenn ich diese nicht sofort lösen kann, dann ist das für mich direkt überfordernd, weil das bei meiner speziellen Geschichte der Ablauf war: Mir wird eine Aufgabe gestellt, wo ich gar nicht in der Lage bin, es zu erfüllen und deswegen erfahre ich Repressalien.

Allein diese Geschichte, die sich oft wiederholt, wenn ich in einem Coaching bin oder irgendwo im Alltag und die nicht bewältigen kann, dann bin ich zurück in der Ohnmacht dieses kleinen Kindes. 

Es prägt das Leben allumfassend.

Mai: Die unlösbare Aufgabe, die Ohnmacht. Das sind die klassischen Muster, die ich auch kenne. 

Verhältnis zur Familie in verschieden Phasen nach dem sexuellen Missbrauch Minderjähriger

Trauma im Kindesalter

Sexueller Missbrauch Minderjähriger

Mai: Was ich ganz spannend finde, dass deine Mama sich gar nicht mehr an die Geschichte erinnert. Und wie stehst du heute im Kontakt mit deinem Bruder? Wie hast du das mit ihm aufgearbeitet?

Katharina: Also mein Bruder macht gerade eine Traumatherapie. Er hat mir vor ein paar Tagen eine Karte geschrieben. Wir haben etwas Kontakt. Seit ein paar Jahren weniger als sonst. Vorher hatten wir viele Jahre, wo wir uns ziemlich gut verstanden haben und auch mal zusammen an diesem Thema gearbeitet hatten.

Irgendwann hat er dann geschrieben, dass er eine Last auf seinem Floß spürt und dann waren wir erst nur im Briefwechsel darüber. Er hat wohl dann auch mal ein Brief geschrieben, wo er genau aufgeschrieben hat, was passiert ist und hat ihn aber leider nicht abgeschickt, weil ich, wie gesagt nur einzelne Bilder, einzelne Erinnerungen habe.

Ein anderes Mal haben wir auch zusammen mit einer Heil-Priesterin drei Sitzungen gehabt. Wir sind dort hingegangen, um eine Art Mediation zu haben, aber auch, um das Ganze energetisch aufzuarbeiten um diese Verbindungen, die dort zwischen uns geschaffen wurden, aufzulösen.

Wenn Menschen sexuelle Handlungen miteinander machen, gewollt oder nicht, wird ein starkes energetisches Band gebildet. Das schafft eine Verbindung, die man eigentlich gar nicht unbedingt möchte. Die haben wir da dann sozusagen aufgelöst.

Das war auch gut so. Ich habe in Erinnerung, dass ich mich einige Jahre nicht wirklich an den Missbrauch erinnert habe und in dieser Sitzung kam dann plötzlich wieder vieles ins Bewusstsein, was damals passiert ist.

Später kam so eine Phase, wo ich mich gefragt habe, ob sich mein Bruder auch daran erinnert. Aber ich wusste nicht, wie ich das Ansprechen soll und ob ich das überhaupt schaffe, seine Erinnerungen emotional zu verarbeiten. Es ist ja noch mal was anderes etwas zu denken, oder das wirklich in Worte zu fassen und heraus in die Welt zu schicken.

Jetzt, die letzten Jahre hatten wir weniger Kontakt. Ich habe das Gefühl, dass das Thema noch nicht ganz geklärt ist. Für mich hat die Komponente gefehlt, dass er versteht, was es in meinem Leben ausgemacht hat. 

Was passiert ist, konnte er gar nicht an sich ran lassen. Er konnte sich damals auch nicht entschuldigen. Ich weiß nicht, ob er sich das verwahrt hat, weil er selber noch ein Kind war oder ob er einfach meint, dass es sein damaliges Ich war.

Das weiß ich nicht mehr genau. Ich weiß noch, wie wir bei dieser Frau damals saßen und sie gefragt hatte, ob er sich entschuldigen kann. Das ging für ihn nicht. Für mich war das aber etwas Wesentliches, was mir gefehlt hat. Die Anerkennung von dem, was ich erlebt habe. Die Anerkennung meines Leids.

Das ist für mich natürlich verknüpft ist mit der Geschichte mit meiner Mutter, weil das im Grunde erstmal das schwerwiegendere war. Der Vertrauensbruch durch den Bruder ist das eine. Den Bruder, als Vorbild zu verlieren... 

Die Mutter in dem Moment zu verlieren, ist natürlich viel grausamer. Ich war ein kleines Mädchen und ich weiß noch, wie sie vor mir stand und alles um sie herum schwarz geworden ist.

Ich hatte das Gefühl zu sterben. Es war so als hätte in dem Moment mein Leben aufgehört. Ab dem Moment war ich, glaube ich einfach nicht mehr in meinem Körper. 

Wieder eine andere Geschichte, aber später war ich mal bei einem Schamanin. Es ging um die Seele und dass man Seelenanteile verlieren kann. Bei mir war es nicht so, dass ich einen Anteil verloren habe, sondern mein ganzer Körper von einer Schlange ausgefüllt war und die hatte meine Seele komplett gegessen. 

So war meine Seele quasi in mir, aber in dieser Schlange und ich konnte mich von innen einfach nicht fühlen. 

Erst damals in der Psychotherapie in der Klinik habe ich gemerkt, dass ich alles, von oben herab erlebt habe. Ich alles nur beobachte....

Meine Hände waren wie ein aufgeblasener Gummihandschuh und ich konnte sie nicht von innen fühlen, nur von außen. 

Inzwischen ist es aber so, dass ich auch erkannt habe das mein Bruder selbst auch traumatisiert ist. Durch was auch immer, aber er macht nicht umsonst eine Traumatherapie. Man hat seine eigene Geschichte. Er ist damals auch in eine Scheidung reingeboren worden und solche Geschichten. 

Ich habe mit ihm eher meinen inneren Frieden als mit meiner Mutter, aber auch sie hat mit viel zu kämpfen. Ich weiß nicht was, aber sie hat auf alle Fälle Schreckliches erlebt und sie ist im Krieg geboren. 

Ich habe immer mehr anfangen, diese unbewussten Erwartungen an die anderen abzubauen, was für mich natürlich immer befreiender wurde, weil ich gar nicht in dieser Abhängigkeit sein will. 

Gleichzeitig habe ich wirklich schon viel gemacht, um zu vergeben. Irgendwelche Sätze aufgeschrieben, was ausgesprochen, alle möglichen Sachen ausprobiert und mit anderen Leuten gearbeitet. 

Aber, wenn in einem dieser Groll ist, dann ist der noch vorhanden und man kann ihn auch nicht wegreden oder einfach nur sagen: “Ich verzeihe dir.” Das hilft dann leider auch nicht.

Es ist einfach ein Prozess. Das ist, was ich erlebe. Ein Prozess, der nicht einfach so vorbeigeht. Ich musste mir selber erst zugestehen und mir gestatten, dass es Zeit braucht. 

Dass ich vielleicht noch nicht komplett verziehen habe und dass ich zu meiner Mutter vielleicht noch nicht die Beziehung habe, die ich mir eigentlich wünschen würde.

Ebenso ist es ein Prozess, meiner eigenen Wahrnehmung wieder zu vertrauen. Dass ich meinem Tempo und meinen Entscheidungen vertraue. Das Vertrauen zu mir selbst ist damals zerstört worden. Das ist ein wesentlicher Faktor, um mit dieser Geschichte abzuschließen und zu heilen. 

Mai: Ich finde es unglaublich bemerkenswert, dass ihr darüber gesprochen habt und dass dein Bruder wirklich bereit war mit dir an dem Thema zu arbeiten. Klar wäre es schön gewesen, hätte er sich entschuldigen können, aber dass er dazu bereit war, finde ich schon sehr gut. Dass du dazu bereit warst, dass ihr beide die Kraft hattet dieses Thema, das euch so sehr verbindet, anzugehen...

Was wäre gewesen, wenn…?

Sexueller missbrauch in der Familie

Sexueller Missbrauch Minderjähriger in der Familie

Katharina: Ich merke immer noch wie traurig ich darüber bin nicht zu wissen, wie ich wäre, wenn das nicht passiert wäre. Wie es wäre im Leben zu stehen, ohne diese Geschichte.

Einfach nur frei und seelisch gesund aufgewachsen zu sein. Im Moment ist das mein größter Schmerz, dass ich das nicht weiß. Der Missbrauch hat mich auf so viele Arten geprägt, und hat alle möglichen Ängste verursacht, dass ich das Gefühl habe mich dadurch verloren zu haben. 

Die ganze Arbeit dies aufzuarbeiten, das zu heilen, damit klarzukommen, mich selbst wiederzufinden. Mein Lebensmittelpunkt in mir, für mich zu finden. Das muss ich alles alleine machen.

Dieses alleingelassen werden, ist ein Punkt, wo ich noch eine tiefe Verletzung in mir merke. Das ist auch eine Parallele zu der Geburt meiner Tochter, welche ziemlich retraumatisierend für mich war. 

Bei der Geburt wurde man sehr übergriffig und ich wurde dann damit alleine gelassen. Ich musste während der Geburt so viel Scheiße erleben, und dann sitzt du da mit einem Baby und musst selber damit klarkommen.

Das ist glaube ich das größte Paradoxon, was ich daran so empfinde. Mir fallen viele Stellen in meinem Leben auf, wo das vorgekommen ist. 

Was wäre, wenn es anders wäre?

Sexueller missbrauch durch ihren Bruder

Sexueller Missbrauch Minderjähriger - durch ihren Bruder

Mai: Es ist eine große Fähigkeit, dass du die Anknüpfungspunkte findest, an welchen Stellen in deinem Leben, das schon einmal passiert ist. Ich kenne diesen Gedanken total gut. Was wäre, wenn ich das alles nicht gehabt hätte, wenn ich das alles nicht erlebt hätte. 

Mein Missbrauch war so zwischen 8 und 10. Ich habe immer wieder Gedanken, wenn ich das alles nicht erlebt hätte. Oft sage ich: “Ich wäre so gern normal.” Dann sagt der Oli (mein Freund) liebevoll nur: “Du wärst nicht gern normal glaub mir, im Leben nicht! Weil das, was du erlebt hast, prägt dich. 

Klar, du siehst jetzt gerade in dem Moment, wo du daran arbeitest, wie du gestört bist, diese Leere, diese Orientierungslosigkeit. Aber genau diese Orientierungslosigkeit bringt gleichzeitig so viel Kraft, so viel Stärke und so viele Fähigkeiten, die du entwickelt hast. 

Fähigkeiten, die du sonst gar nicht entwickelt hättest, weil alles ist auch immer eine Reaktion ist. Ohne das, was du erlebt hast, wärst du nicht an der Stelle wo du heute bist. Auch nicht mit all den positiven Fähigkeiten.”

Was ich bei dir zum Beispiel sehe, ist diese Fähigkeit Strukturen und Muster zu erkennen und diese einfach ganz schnell zu benennen und Verknüpfungspunkte zu schaffen. Das können Normalos gar nicht. Es hat alles positive und negative Seiten und ist es auch irgendwo immer eine Frage der Perspektive.

Katharina: Das mit den Mustern... Ich bin ja Energetikerin, ich nehme Energieströme wahr. Wo diese Fähigkeit herkommt weiß ich nicht. Mir geht es gar nicht um das normal sein, sondern darum sich frei und unbeschwert zu fühlen. Wenn man keine Angst vor Bestrafung hat oder davor, negativ aufzufallen. 

Ich möchte nicht mehr so tief spüren, wie sehr man Angst ums eigene Leben hat. Ganz allgemein bekannt, fällt das Opfer dem Täter ja auf. Alleine das reicht schon, um so eine Verknüpfung zu erschaffen. Diese Angst davor zu haben, irgend jemandem mit meiner Anwesenheit auf den Schlips getreten zu haben, und dann etwas Negatives abzubekommen, empfinde ich als sehr belastend.

Klar machen sich viele Leute Gedanken darüber, was andere denken. Aber ich schaffe da in meinem Leben so viele Verknüpfungen zu solchen Geschichten. Ich würde gerne wissen, wie ich mich ohne dieses Erlebnis entwickelt hätte. Erinnerungen an dieses Mädchen bevor das alles passiert ist. 

Kleine Kinder haben 50.000 Ideen am Tag, sind frei, wild, wollen sich bewegen, sind kreativ. Die haben immer irgendwas vor. Und das so völlig unbedarft. Ohne die Angst, dass irgendwas Schlimmes passieren könnte. Dieses Gefühl fehlt mir seitdem. 

Das sind inzwischen über 30 Jahre. Ich glaube das ist ein Gefühl wo ich mich intuitiv danach sehne, weil das eigentlich, als Mensch unser natürliches Lebensgefühl ist.

Davon bin ich überzeugt, dass das natürliche Lebensgefühl des Menschen eigentlich diese begeisterte, unbedarfte und unbefangene Existenz ist. In Kontakt gehen mit allem was ist, entdecken und leben. Das wünsche ich mir wieder für mich.

Mai: Ein wunderschöner Wunsch. Den nehme ich auch mit. (Mai lacht.) Dieses Gefühl kenne ich.

Projiziert Katharina die Angst vergewaltigt zu werden auf ihre Tochter?  

Sexueller Missbrauch als Kind

Sexueller Missbrauch Minderjähriger

Mai: Da du gerade deine Tochter erwähnt hast. Ich habe häufiger von Müttern gehört, die selber einen Missbrauch erlebt haben, dass sie sehr ängstlich sind, dass ihre Kinder und gerade ihre Töchter auch so etwas erleben. Wie ist das bei dir? Wie gehst du damit um?

Katharina: Es hat für mich, verschiedene Aspekte. Einer davon ist die Angst vor der Angst. Manchmal zieht man Dinge unbewusst an, die man gar nicht anziehen will. Es kommt immer darauf an, auf was du dich konzentrierst und wo die meiste Aufmerksamkeit hingeht. 

Wobei ich gemerkt habe, dass ich weniger Angst um sie habe bezüglich sexueller Missbrauch Minderjähriger, sondern viel mehr, dass sie sich von mir alleingelassen fühlen könnte, wie ich mich damals von meiner Mutter alleingelassen gefühlt habe.

Dass dadurch natürlich einerseits unsere Beziehung dahin wäre, spätestens wenn sie größer ist. Und andererseits sie eben dieses schreckliche Verlorenheitsgefühl auch erleben würde. 

Die Angst schwingt dann mit, dass ich es vielleicht gar nicht richtig mitbekomme, wenn sie mir etwas Wichtiges erzählt. Vielleicht hat meine Mutter damals einfach nicht geschnallt, was dieser Moment für eine Bedeutsamkeit für mich hatte. Vielleicht hatte sie einen blinden Fleck, weil ihr selber irgendwas doofes passiert ist. Und für mich hat es mein Leben so extrem bestimmt und ausgerichtet und geprägt. 

Was sexueller Missbrauch Minderjähriger betrifft: Ich frage mich manchmal schon, wie ich mich jetzt verhalten würde, wenn sie jetzt auch ein bisschen größer wird und vielleicht mal woanders übernachten will. 

Oder dass sie bei ihrem Vater ist, wo vielleicht irgendwelche Jungs in der Nachbarschaft sind, die ein bisschen älter sind als sie. Die das vielleicht als witzigen Scherz empfinden, einem kleineren Kind Angst zu machen. 

Da merke ich schon, dass ich da gewisse Wünsche habe, um einfach zu wissen, wo war sie, was hat sie erlebt, um ein Bewusstsein dafür zu haben, wie es ihr geht. Ich will sie einerseits nicht einsperren und ihr Angst machen, indem ich ihr diese Geschichten erzähle. 

Ich merke, dass ich da schon teilweise anders als meine Eltern bin. Von meiner Mutter bin ich das sechste Kind und von meinem Vater bin ich das einzige Kind. Meine Mutter war beim sechsten Kind wahrscheinlich schon tiefenentspannt. 

Mein Vater hat mich schon mehr behütet, aber er hat sich trotzdem auch auf vieles verlassen und zudem waren es DDR-Zeiten und wir konnten überall herum streunern. 

Mein Vater hat dann immer vorgeschlagen, ob ich nicht von der Musikschule nach Hause trampen könnte und da war ich gerade mal sieben Jahre alt. Das würde ich mit meiner Tochter heute nicht machen, aber es ist jetzt auch eine andere Welt. 

Ich habe aber auch ein anderes Bewusstsein. Und ich weiß, dass man es letzten Endes nicht kontrollieren kann. Ich glaube, das Wichtigste ist, diese gesunde und starke Beziehung und Bindung zu haben und zu pflegen. 

Dass sie einfach weiß, dass sie zu mir kommen kann, falls ihr irgendetwas passiert. Und dass sie dann dadurch und durch mich erleben kann, da ist jemand an meiner Seite, der da mit mir durchgeht und der mich beschützt.

Aus dieser Geschichte wahrscheinlich heraus habe ich einen starken Beschützerinstinkt für meine Tochter. Ein Thema, welches immer wieder einmal aufkommt, ist, dass ich sehr darauf achte, dass ihre Grenzen gewahrt werden. 

Dass sie sich nicht gegen ihren Willen umarmt oder von jemandem gezwungen wird, die Hand zu geben. Ihr Körper ist ihr Körper und das hat seine Grenzen. 

Es gibt ein Buch, das heißt “Magisches Mädchen”. Es ist von einer Frauenärztin geschrieben, Christiane Northrup, die sehr tolle Weiblichkeit Literatur schreibt. Ein Teil davon erzählt eben auch davon, dass dein Körper dir gehört und nur du bestimmst, wer deinen Körper wann und wie anfassen darf.

Und das ist jetzt nichts, was ich ihr extra immer vorlese. Aber wenn sie mal mit dem Buch ankommt, und möchte das ich ihr vorlese, dann wird dieser Glaubenssatz bestimmt auch bei ihr ankommen. Momentan ist mein Fokus eine Basis zu schaffen, damit sie sich sicher fühlt.

Das fühlt sich viel besser an, anstatt ständig nach Gefahren Ausschau zu halten. 

Mai: Deine Herangehensweise finde ich total stimmig und klingt auch sehr gesund. Wenn ich ehrlich bin, sind das so Sachen, die ich mir auch gewünscht hätte. Ich werde immer wieder gefragt, ob ich etwas anders gemacht hätte, oder ob da was ist, das ich mir damals von meinen Eltern gewünscht hätte. 

Das Einzige, wo ich mir von meinen Eltern eine bessere Aufklärung gewünscht hätte, ist, dass mein Körper mir gehört. Mir dieses Gefühl der Sicherheit für mich und meinen Körper zu geben... 

Damit ich gewusst hätte: “Nein das ist falsch und es ist nicht richtig und deswegen gehe ich jetzt petzen”. Das finde ich einen Riesen Baustein: Einerseits zu wissen, mein Körper gehört mir und ich entscheide, ob ja oder nein, und andererseits die Beziehung und das Vertrauen zu meinen Eltern zu denen ich hingehen darf, um mein Herz auszuschütten.

So wird eine Beziehung geschaffen, in der ein Kind sich damit sicher fühlt, den Eltern zu erzählen, was passiert ist.

Kindern wird meistens nicht geglaubt - Sexueller Missbrauch Minderjähriger

Kindern wird nicht geglaubt

Kindern wird nicht geglaubt

Katharina: Ich weiß jetzt nicht wie ich das politisch korrekt benennen soll, aber ich sag jetzt mal, selbst in ‘normalen Verhältnissen’, wo die Kinder in den Kindergarten gehen und dann in die Schule und so weiter. Selbst da gibt es extrem viele Situationen, wo es Kindern vermittelt wird, dass einem nicht geglaubt wird.

Dass die Kinder sagen “das war ich nicht”, das einem nicht geglaubt wird. Ich erlebe das ja auch mit meiner Tochter: Meine Tochter und ihre Freundin sind am Spielen. Und ich hatte ein Puzzle im Raum liegen. Ich habe dann zu den beiden gesagt: “Bitte fasst mein Puzzle nicht an.” 

Ich komme rein und das Puzzle ist durcheinander. Ich frage: “Wer wars?” “Also ich wars nicht.” sagt meine Tochter. Das andere Mädchen sagt: “Also ich wars auch nicht.” Ich sage: “Mädls ihr beiden wart die einzigen hier im Raum. Eine von euch, oder ihr beide müsst es gewesen sein.” Ich lasse die Frage dann aber auch im Raum so stehen. 

Die Frage ist, was erleben die beiden wirklich. Ist es in ihrem Erleben wirklich so, dass sie es nicht waren, weil sie vielleicht gar nicht drauf geachtet haben?

Wenn ich jetzt aber immer weiter insistieren würde und weiter fragen würde, wer Schuld ist, dann würden die beiden das vielleicht auch so abspeichern “mir wird nicht geglaubt”. 

Und das meine ich. Es gibt so viele kleine Situationen, die wir oft gar nicht so bewusst wahrnehmen. Ich habe das ja auch in der Schule immer wieder erlebt, dass mir nicht geglaubt wurde. Mir wurden Dinge unterstellt, die ich gar nicht gemacht habe und mir wurde nicht geglaubt, dass ich diese nicht gemacht habe. 

Das war für mich dann eine Wiederholungssituation, aus diesem Muster heraus, was ich durch den Missbrauch erlebt hatte. Es ist leider gar nicht so unüblich in unserer Gesellschaft, dass wir unseren Kindern nicht vertrauen. Es ist aber so wichtig.

Es ist so wichtig, dass ich als erstes meinem Kind glaube, wenn es zu mir kommt und mir sagt, dass es von einem Mann doof angefasst wurde. Ich dann auch nicht als erstes überlege, wie fühlt sich der Mann jetzt vielleicht, wenn ich ihn deswegen anspreche. Ich empfinde es als wichtig, zu schauen, was braucht mein Kind jetzt.

Es ist sicherlich auch ein Prozess sich das zu trauen. Aber unvermeidbar, wenn man, wie ich selbst, so ein Scheiß erlebt hat. Dass man dann wirklich diesen Platz einnimmt und sagt, ja es gibt niemanden, der mir näher steht als mein Kind und auf alle Fälle bin ich für mein Kind und dessen Wohlbefinden da. Das hat Priorität. 

Und nicht, ob der Mann sich da jetzt auf den Schlips getreten fühlt. Das finde ich ein ernst zu nehmender Prozess und eine Herausforderung. Ich habe solch eine Situation zum Glück noch nicht gehabt aber es schadet nicht, das Szenario mal gedanklich ablaufen zu lassen.

Wie wäre meine Reaktion, wenn meine Tochter wegen solch einem Fall zu mir kommen würde? 

Mai: Ich finde deinen Umgang damit wirklich sehr schön. Das hätte ich mir auch gewünscht. Gleichzeitig heilst du damit ja auch was dir passiert ist, dass dir damals nicht geglaubt wurde und du nicht die Sicherheit bekommen hast. 

Die Wunde, die du bekommen hast, gibst du nicht an deine Tochter weiter, sondern du heilst sie an dir selber und das ist echt stark. 

Der Vertrauensbruch zur Mutter und der Einfluss auf die Freundschaft mit Frauen

Misstrauen zu Frauen

Misstrauen zu Frauen

Um nochmal auf dich und deine Mutter zurückzukommen. Vor ein paar Wochen hatte ich ein Gespräch mit einer Sexualtherapeutin, der Ulrike Kleynsmann-Surholt. 

Eine grandiose Frau, die über 25 Jahre als Sexualtherapeutin mit ihrem verstorbenen Ehemann in einer Praxis gearbeitet hat. Sie hat auch ein tolles Buch geschrieben

Im Gespräch mit ihr sind bei mir die Lichter aufgegangen, als sie gesagt hat, dass für viele Frauen, sexueller Missbrauch Minderjähriger, zwar schlimm war, aber dennoch zweitrangig empfunden wird.

Viel schlimmer und prägender ist es, wenn ihnen von der Mutter nicht geglaubt wird. Die meisten Mädchen, die es erzählen, gehen in der Regel eher zur Mama. 

Dieser Vertrauensbruch kann ein Kind über ein ganzes Leben über begleiten, bis man es irgendwann aufgelöst und aufgearbeitet hat. Viele Frauen, bei denen das so passiert ist, haben dann auch in ihrem Leben oft schlechte Beziehungen zu anderen Frauen. 

Oder sie entwickeln gar keine Beziehung mit anderen Frauen, weil die Beziehung mit der Mutter in dem Moment wirklich abgebrochen ist und dann vielleicht sogar ins Negative schwankt.

Hast du das auch so erlebt? 

Katharina: Ich beantworte das gleich, aber noch etwas, das ich loswerden wollte zum Thema Glauben: Zum Beispiel, dass wenn ich meiner Tochter sage, wie lieb ich sie habe, habe ich eine Angst in mir, dass sie mir das nicht glaubt. Das ist völlig beknackt eigentlich aber manchmal ist das so. 

Und gerade weil sie 4 Jahre alt ist, kommt dann manchmal zurück “ich dich aber nicht”. Gerade im jungen Alter sagen Kinder Sachen, die sie gar nicht meinen, aber es bestärkt meine Unsicherheit. 

Nun zu deiner anderen Frage. Ich hatte zweimal eine unschöne Situation mit zwei besten Freundinnen, von denen ich jeweils verraten worden bin. Das war richtig krass für mich und ich habe erst vor einigen Jahren als Erwachsene gemerkt, dass ich grundsätzlich mit dem Weiblichen im Misstrauen bin. Was natürlich das Weibliche in mir einschließt.

Ich habe gemerkt, dass ich kein weibliches Vorbild hatte und wusste daher auch nicht, was Weiblichkeit eigentlich ist. Es gibt die äußerlichen Attribute von Weiblichkeit und die inneren Werte, und das war und ist teilweise immer noch, ziemlich komplett leer. 

Bei Frauen als auch bei Männern bemerke ich bei mir oft eine Unsicherheit. Eben dieses Gefühl nicht gut genug zu sein vielleicht. Man scannt sich fast schon automatisch, und fragt sich, wie man wohl auf die Person reagiert.

Man macht sich so viele Gedanken, wie “bin ich gerade auf irgendeine Art zu unangemessen, zu laut, zu ruhig, zu wenig, zu viel.” Es ist keine selbstverständliche natürlich, entspannte und authentische Beziehung. 

Sowas hab ich auch schon mit einzelnen Frauen, in einzelnen Momenten oder auch in Gruppen erlebt. Und dennoch empfinde ich die Beziehung zu anderen Frauen, wie ein starkes rotes Band, das uns wie eine fließende Energie verbindet. 

Jede Frau hat eine eigene Nabelschnur zu dieser starken Energie. Deswegen kann man im Grunde auch jede Frau als Schwester erleben. Man könnte zu jeder Frau im völligen Vertrauen hingehen und sie würde genauso vertraut auf einen reagieren, aber in unserer Gesellschaft ist das leider nicht so.

Wenn ich jetzt zu einer wildfremden Frau (abgesehen von Corona) gehen würde, und sagen würde, kannst du mich mal in den Arm nehmen. Dann würde sie sich wahrscheinlich erst mal wundern oder einen Schritt zurückgehen. 

Aber mit dieser Ur-Energie sind wir trotzdem wie Schwestern verbunden. Wäre das in gesunder Balance, dann müsste ich gar nichts sagen. Dann würde sie mich sehen und mich einfach in den Arm nehmen.

Da merke ich schon, dass es auf alle Fälle eine Unsicherheit in mir gibt, wo ich automatisch andere Personen entweder über oder unter mich sortiere. Das macht natürlich eine Beziehung auf Augenhöhe schwierig. 

Mai: Es besteht daher immer ein starker Fokus nach Außen: “Was der wohl über mich und meine Taten denkt, anstatt bei sich zu sein und sich selbst zu fragen: Möchte ich das? Wie laut und leise möchte ich sein, was finde ich okay.”

Katharina: Total. Und dieses Gefühl zu viel zu sein. Ich habe auch immer wieder Frauen getroffen, wo ich manchmal das Bedürfnis hatte, mehr mit denen zu tun zu haben, einfach, weil ich sie sympathisch fand oder etwas von ihnen lernen wollte. 

Da ist fast immer automatisch dieses Gefühl da, dass das eventuell nur einseitig ist. Manchmal kommen Gedanken wie: “Aber die haben ja schon so viele Freundinnen und haben schon so viel zu tun.”

Dann komme ich natürlich auch mit dem Blick nach oben daher, was keine Beziehung auf Augenhöhe bedeutet. Dieses selbstverständliche Gefühl, dass wir beide gleichwertig sind, ist nicht richtig vorhanden. 

Und natürlich kann ich auf Menschen zugehen, sie ansprechen und fragen, ob sie mir was Bestimmtes beibringen können. Was ja eigentlich natürlich wäre. Ohne Angst aufeinander zuzugehen, selbst dann, wenn man eine Absage bekommt. 

Aber bevor, das zu Stande kommt, gibt es einfach schon so viele Gedanken. Sowas kommt in allen Formen von Beziehungen hoch und kann Schwierigkeiten verursachen. Es ist eigentlich ein Dauerstress, ein permanentes Abtasten mit der Umwelt und den Befindlichkeiten anderer. 

Mai (zustimmend): Es ist abgefahren, in wie vielen Lebensbereichen so etwas “Kleines” einfach noch nachwirkt. 

Das war der erste Teil des Interviews mit Katharina. Wenn du den zweiten Teil noch nicht gelesen hast, schaue gerne hier rein.

Bis bald! Deine Mai 💛

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Hi, ich bin Mai 😊 Ich habe es mir zur Aufgabe gemacht Opfern sexuellen Missbrauchs zu zeigen, dass sie nicht alleine sind. Auch wenn eure Scham und Angst etwas anderes erzählen: Das ist nicht wahr! Und es kommt noch besser: Der richtige schöne Teil eures Lebens liegt noch vor euch! Ich habe es geschafft, aus dem schlimmsten Erlebnis meines Lebens, eine enorme Kraft zu ziehen & mein Leben nach meinen Ideen neu zu gestalten - also kannst du das auch! Deine Mai 💛

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