Täter anzeigen beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte

Nächstes Ziel: Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte – Nina Fuchs’ #metoo-story (Teil 2/2)

Okt 14
#Metoo #Aufschrei

Dies ist der zweite Teil des Interviews mit Nina Fuchs die den k.o Tropfen Täter anzeigen wollte, und dies jedoch nie zur Anklage oder zum Prozess kam. Trotz der vielen Niederlagen kämpft sie aber weiter. Wenn du den ersten Teil noch nicht gelesen hast, tu das gerne zuerst.

In diesem Teil erfährst du, was sie, nachdem ihre Anklage fallen gelassen wurde, unternommen hat: Sie reichte Beschwerde ein, ging an die Presse, eröffnete eine Petition und ging ins Fernsehen. All die Mühe dafür, dass der Fall wieder nicht behandelt wird? 

Dreimal wurde ihre Anklage insgesamt fallen gelassen. Die Justiz schützt sie nicht, aber sie bekommt Rückhalt von der Gesellschaft. Nina erklärt was das Klageerzwingungsverfahren ist und warum sie weiter kämpft, obwohl die Chancen sehr gering stehen.

Ihre letzte Hoffnung: Der Europäischen Gerichtshof für Menschenrecht. Außerdem erzählt Nina uns von ihrem Herzensprojekt. 

Was kann ich machen, wenn die Anklage fallen gelassen wird? Täter anzeigen

Täter anzeigen

Welche Wege gibt es, wenn man alles probiert hat

Mai: Wie ging es dann weiter? Die erste Instanz ist die Staatsanwältin gewesen?

Nina: Genau. In erster Instanz wurde der Prozess von der Anwältin eingestellt., was bei mir ganz schlimme Ohnmachtsgefühle ausgelöst hat. Ungerechtigkeit ertragen müssen und nichts dagegen tun können, ist für mich persönlich das schlimmste Gefühl. 

Dann habe ich, um aus dieser Ohnmacht herauszukommen, zu handeln begonnen und habe versucht, über Presse Aufmerksamkeit zu generieren. Der juristische Weg ist, dass wenn es zu einer Einstellung kommt, man Beschwerde einlegen kann. Die Chancen, dass einer Beschwerde stattgegeben wird, sind sehr gering.

Die Chancen steigen aber, wenn man viel mediale Aufmerksamkeit bekommt, was mir auch relativ gut gelungen ist. Ich habe eine Petition gestartet. Habe die Beschwerde an die Generalstaatsanwaltschaft gerichtet, die die höhere Instanz über der Staatsanwaltschaft ist. 

Die Beschwerde habe ich an die gerichtet und habe darum gebeten, der Beschwerde stattzugeben und einen Prozess zu eröffnen.

Mai: Das bedeutet, wenn man generell eine Beschwerde bei der Generalstaatsanwaltschaft einreicht, ist die Wahrscheinlichkeit relativ gering, dass da was passiert.

Wenn man aber eine große Medienaufmerksamkeit erzeugt und viele Leute unterschreiben, dann schauen die den Fall noch mal anders an?

Nina: Ja und Nein. Die stehen dann ja auch in einer Zwickmühle, weil sie diesen Eindruck natürlich nicht erwecken wollen. Außerdem wollen sie auch nicht zugeben, dass ihre Behörde dann offensichtlich einen Fehler gemacht hat. 

Das ist das Nächste, dass sie sich alle immer gerne schön decken. Andererseits hatten sie aber wahrscheinlich schon ein bisschen Angst, dass noch mehr Wind kommt. Da hatte ich wahnsinnig Glück, weil die Petition von “Change” als Kampagne übernommen wurde. Ich selber hätte ja nie so eine Reichweite gehabt. 

Ab dem Punkt, wo die das in ihrem Verteiler draußen hatten, habe ich, glaube ich, in zwei Tagen 50.000 Unterschriften gehabt. Als ich das dann übergeben habe, waren es über 90.000. Mittlerweile sind es über hunderttausend, also wahnsinnig groß. 

Als ich die Petition letztes Jahr im April übergeben habe, war das so ein Medienrummel. “DPA” war da. Zwanzig Reporter:innen von Zeitungen, Radios und vom Fernsehen. Ein Gerichtsreporter von der “Münchner Merkur”, der öfter für Pressekonferenzen vor Ort ist, meinte, er habe noch nie sowas gesehen. Der Pressesprecher von der Generalstaatsanwaltschaft hat ihm gesagt, er habe auch noch nie so etwas gesehen. 

Dann haben sie das taktisch total klug gemacht. In der Presse Konferenz wurde dann verkündet, dass in zwei spätestens drei Wochen eine Entscheidung vorliegt. Das wäre dann die erste Maiwoche gewesen. Dann habe ich aus der Presse erfahren, dass die Staatsanwaltschaft noch einmal ergänzenden Gesichtspunkten nachgeht.

Dann haben sie es einfach bis Mitte November hinausgezögert. 

Mai: Ein halbes bis dreiviertel Jahr. Dann hatte die Presse natürlich nicht mehr so viel Interesse.

Nina: Null, um genau zu sein. Das war für mich auch eine sehr krasse Erfahrung zu lernen, dass die Leute bei der Presse nicht meine Freunde sind, sondern ihren Job machen. Es mit mir gar nichts zu tun hat. Ich bin nämlich immer noch dieselbe Person, meine Geschichte ist immer noch dieselbe und es ist immer noch dieselbe Ungerechtigkeit. 

Einmal war brennendes Interesse da und ein halbes Jahr später: null. Das war schon echt bitter. 

Sie sind dann diesen ergänzenden Gesichtspunkten nachgegangen und haben es dann im November wieder eingestellt. Es war dann insgesamt seit 2013 die dritte Einstellung. Ich war eigentlich wieder genau an demselben Punkt wie im Januar.

Also hat mein Anwalt wieder Beschwerde eingelegt. 

Mai (verwundert): Wo reicht man dann Beschwerde ein?

Nina: Immer noch dasselbe. Die sind quasi noch mal ein Schritt zurückgegangen. Haben noch mal ermittelt, kein neues Ergebnis und dann hat die Staatsanwaltschaft wieder eingestellt. 

Dann musst du wieder die Beschwerde bei der Generalstaatsanwaltschaft einreichen. Ab da war klar, wenn die jetzt auch noch ablehnen, die hatten sich ja nie entschieden, haben sie zwar angekündigt, aber nie gemacht, dann besteht keine Chance mehr. Mein Anwalt hat da schon gemeint, dass die Chancen sehr schlecht stehen, das ist wie als wäre die Entscheidung schon gefällt. 

Täter anzeigen - Von drei fallengelassenen Anklagen bis zum Klageerzwingungsverfahren

Taeter anzeigen

Täter anzeigen

Dann kam auch die Abweisung der Beschwerde von der Generalstaatsanwaltschaft. 

Dann war das Einzige, was ich jetzt noch tun kann, ein Klageerzwingungsverfahren. Was ich im ersten Teil schon mal erwähnt habe. Welches dann auch richtig teuer wird. Das Wort ist eine Farce. Es wird nämlich gar nichts erzwungen, auch wenn man das vermuten könnte, weil es kommt in dem Wort vor. (Mai stimmt zu.)

Es ist Schweine-teuer, weil es wahnsinnig viel Arbeit ist.

Mai: Kurz zum mitschreiben: Bis zum Klageerzwingungsverfahren hat dich das ganze nichts gekostet. Für alle Leser*innen um zu sehen, wie weit man juristisch gehen kann. Das war auch immer deine Entscheidung weiterzugehen? Du hättest überall abspringen können?

Nina: Ja. Ich hatte das vorher schon mit meinem Anwalt beschlossen, dass ich ein Klageerzwingungsverfahren machen würde, weil das Problem ist, dass unser System wahnsinnig Opfer feindlich ist.

Du hast immer nur wahnsinnig kurze Fristen, um dann solche Sachen zu machen. Wenn du jetzt durch die Entscheidung, die getroffen wurde, emotional total mitgenommen bist, ist die Frist, bis du das vielleicht verarbeitet hast und wieder klar denken kannst und dir das nicht bieten lassen möchtest, sondern weiterkämpfen willst, abgelaufen. 

Die Fristen sind wirklich richtig kurz. Wenn du dann auch noch ein kompliziertes Prozedere hast, wie beim Klageerzwingungsverfahren, wo der Anwalt mindestens eine Woche braucht, um es ordentlich bearbeiten zu können, hast du noch weniger Zeit. Deswegen ist es gut, wenn du da einen Anwalt oder Anwältin hast, die das im Vorfeld mit dir besprechen. Dass du und auch der Anwalt genau weiß, wenn dieser Fall eintritt, dann sind das die nächsten Schritte.

So hatten wir das auch besprochen. Mein Anwalt hat mir da im Voraus schon einen Freundschaftspreis von 5.000 € gemacht. Es war klar, dass ich die nicht habe und ich versuchen muss, über Crowdfunding das Geld zu bekommen. 

Der Anwalt muss da vier volle Arbeitstage berechnen, um das ordentlich machen zu können. Wenn man weiß, was gängige Anwaltstagessätze sind…. Es ist viel. Es war dann aber schon vorbereitet und ich habe dann ein Crowdfunding gestartet.

Auch wieder eine krasse Erfahrung. Wie viel Unterstützung ich bekommen habe von den Menschen.

Ich hab das abends um 18 Uhr online gestellt und am nächsten Morgen um neun hatte ich die 5.000 € zusammen. 

Mai: Das ist megakrass. Total schön davon zu hören. Ich habe schon von so vielen Leuten gehört, die nicht wissen, ob sie es sich leisten könnten, ich kann es dann total verstehen. Ich meine Geldsorgen sind Existenzsorgen. Dann zu hören, dass du innerhalb von einer Nacht 5.000 € hattest. Supergut.

Nina: Ich bin so gesegnet und bin so dankbar für diese Unterstützung von so vielen Leuten, wo ich die meisten nicht einmal kenne. Wenn ich zurückdenke, dass ich am Anfang nicht einmal die Petition starten wollte, weil mir das unangenehm war, die Leute um ihre Unterschrift zu bitten, und dann aber irgendwann einfach in der Situation war: Ich kann aufgeben oder ich kann um Hilfe bitten.

Weil ich ja immer dazu ermuntere, solange zu kämpfen, wie es nur geht, habe ich natürlich auch an mich den Anspruch, das auch so zu machen. Ich möchte, was ich predige, natürlich auch selber vorleben.

Dann war auch noch der Aspekt, dass so ein Klageerzwingungsverfahren eine Chance von ungefähr 2 Prozent hat, erfolgreich zu sein. Ich wusste, dass die Chance kaum vorhanden ist. Wenn man es dann nicht macht, dann hat man vielleicht irgendwann diese Gedanken von: Vielleicht hätte es ja geklappt. 

Das wollte ich auch auf alle Fälle vorbeugen. Zum juristischen Hintergrund: Falls du tatsächlich unter diese zwei Prozent fällst, heißt das nicht, dass dann ein Prozess stattfindet, sondern das heißt lediglich, dass das Oberlandesgericht, wo das Klageerzwingungsverfahren dann landet, nochmal zurück zur Generalstaatsanwaltschaft gehen und sagen: “Guck doch da noch mal rein.”

Mai: Wow. Das klingt ja richtig böse.

Nina: Dann können die da noch einmal reingucken und dann wieder nö sagen. Das war es dann. 5.000 € dafür.

Wieder eine Sackgasse

Taeter anzeigen - Traumatisierung durch sexuellen Missbrauch

Sackgasse bei der Justiz

Mai (gespannt): Hast du damals ein Ja oder nein bekommen?

Nina: Ich habe ein Nein bekommen. 

Mai: Also ist das Klageerzwingungsverfahren gescheitert?

Nina: Gescheitert, genau. 

Mai: Und dann?

Nina: Ich dachte eigentlich, weil ich schon wusste, dass die Chance zu gering war, dass ich da prima drauf vorbereitet bin, da ich auch schon damit gerechnet habe. Hatte auch ein Interview für “Benton” gegeben, wo ich auch schon gesagt habe, dass ich fest damit rechne, da die Chancen sind so gering. 

Dann hab ich auch alles probiert und dann ist der juristische Weg einfach zu Ende. Als ich dann wirklich Bescheid bekommen habe, hat mich das total mitgenommen. Ich war zwar rational drauf vorbereitet, aber emotional überhaupt nicht.

Habe da auch gemerkt, das sind zwei total verschiedene Ebenen.

Wieder hat mich dieses Ohnmachtsgefühl gefüllt und ich hatte das Gefühl, dass ich schon wieder in einer Sackgasse stehe. Das ist einfach ein Riesenapparat, dieses System. Das ist so groß ist und gibt mir keine Chance.

Ich habe echt zwei, zweieinhalb Wochen gebraucht, um das emotional zu verdauen. Dann kam langsam so eine Stimme in mir. Auch viele andere Leute, die gesagt haben: “Was machst du jetzt? Das kannst du dir doch nicht gefallen lassen?”

Da dachte ich mir: “Was soll ich denn jetzt noch machen?” Dann kam irgendwann die Frage: “Was ist eigentlich mit dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte?”

Mai: Das ist ein großer Name.

Nina: Angefangen hat das mit dem Gedanken: “Lohnt sich das überhaupt die Zeit da hineinzustecken, um das zu recherchieren?” Dann habe ich mit meinem Anwalt noch einmal gesprochen, der so was halt gar nicht macht. In dem Gespräch ist ihm auf einmal eingefallen, das es da Kollegen gab, die da schon mal erfolgreich waren. Zwar mit einer anderen Sache, aber er kontaktierte die mal.

Dann hatte ich auf einmal diese Information, dass ich sowieso erst einmal zum Bundesverfassungsgericht muss. Du musst erst alle Schritte in deinem Land ausschöpfen, bevor du an den Europäischen Gerichtshof gehen kannst.

Da fehlte eben vom Oberlandesgericht noch das Bundesverfassungsgericht. Da musst du quasi eine Verfassungsbeschwerde einreichen. Man kann keine Fristverlängerung beantragen. Insgesamt war es ein Monat aber ich habe schon so lange gebraucht, bis ich mich emotional wieder gefangen hatte. Es waren dann nur noch 10 Tage übrig.

Ein Anwalt braucht für so eine Verfassungsbeschwerde einfach einen Monat.

Mai: Das ist ja richtig doof! 

Nina: Aufgrund von diesem Zeitdruck müsste mein Anwalt alles stehen und liegen lassen und eine Woche lang nur diese Beschwerde schreiben. Zusätzlich war mein Fall jetzt auch schon lang, sprich eine sehr dicke Akte. 

Dann standen da halt auf einmal inklusive Mehrwertsteuer 10.000 € im Raum. Nur um hinter diesen Schritt ein Häkchen zu machen und dann an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gehen zu können.

Weil der Zeitdruck eh schon zu groß war, hatte ich eigentlich gar keine Zeit, um das zu entscheiden. Da zählte jede Stunde. Das waren dann ja auch nur die Anwaltskosten. Wenn es dann wirklich zum Prozess kommt und du den verlierst, bekommst du ja auch noch die Gerichtskosten. 

Wir reden hier von so 25.000 €. Dann hatte ich 24 Stunden Zeit und es gab nur Gründe dagegen. Auch der Anwalt hat mir gesagt, dass dadurch, dass er statt einem Monat nur eine Woche Zeit hat, kann er das eigentlich nur VERSUCHEN. Wenn ihm zum Beispiel noch irgendeine Anlage fehlt, kriegt er die nicht in der kurzen Zeit.

Wenn er von der Staatsanwaltschaft noch bestimmte Teile von der Akte beantragt, kriegt er die nicht rechtzeitig. Dann fehlt die und dann wird es aufgrund eines Formfehlers beim Bundesverfassungsgericht sofort abgelehnt.

Möchte ich jetzt 10.000 € für einen Versuch ausgeben? Möchte ich mich unter Umständen krass verschulden? Dann kann das ungefähr fünf Jahre dauern, bis das alles durch ist. Möchte ich das fünf Jahre immer im Hinterkopf haben? Weiterhin diesen juristischen Kampf führen? Packe ich das emotional?

Der Anwalt selber hat mir eigentlich relativ deutlich abgeraten. Er hat gesagt das die Chancen bei ungefähr 10 Prozent stehen, besser als 2. 

Ein einziger Grund führt dazu, dass Nina weiterkämpft - Trotzdem Täter anzeigen

Stark sein Metoo Deutschland

Stark sein - Täter anzeigen um einen Prozess in die Wege zu leiten

Nina: Ich hatte einen einzigen Grund, der dafür sprach. Der war sehr emotional. Mir wurde bewusst, dass Entscheidungen immer auch wieder als Referenzen für neue Entscheidungen dienen. 

Wenn ich mir jetzt vorstelle, dass dieser ganze Krampf, den ich da hatte, dafür verantwortlich ist, dass in der Zukunft wieder Frauen das erleben müssen. Faire Prozesse verweigert werden, damit kann ich nicht leben.

Die Entscheidung, solch eine Anzeige fallen zu lassen, ist ein Freifahrtschein für jeden Täter, wie vorhin schon gesagt. Diese Entscheidung wurde durch zwei höhere Instanzen jeweils in ihrer Richtigkeit bestätigt. Erst durch die Generalstaatsanwaltschaft und dann noch durch das Oberlandesgericht. 

Was die Chance noch mal erhöht, dass es als Referenz verwendet wird. Das konnte ich nicht ertragen. Letztendlich hat dann der eine emotionale Grund dafür, gewonnen. Ich würde trotzdem immer wieder den Täter anzeigen.

Ich habe einen ganz lieben Ex-Freund, der mir das Geld einfach geliehen hat. Anwälte fangen nämlich nicht an zu arbeiten, wenn die Kohle nicht auf dem Konto ist.

Habe dann zu ihm gesagt, dass ich ihm mit Sicherheit sagen kann, dass ich das Geld wieder rein bekomme. (Mai lacht.)

Anonymer Rückhalt und Unterstützung der Gesellschaft

Oeffentlichkeitsarbeit - Metoo ans Licht bringen

Öffentlichkeitsarbeit - Metoo Story ans Licht bringen und Täter anzeigen

Nina: Ich wusste, ich komme nicht drum herum, weil es keinen anderen Weg gab und habe dann noch mal ein Crowdfunding gemacht. Und das lief noch krasser als das Erste. Nicht einmal eine Woche später und ich konnte ihm das schon wieder zurückgeben.

Mai (baff): Unglaublich. Unglaublich scheiße, was du da durch die Justiz erleben musstest und gleichzeitig unglaublich krass und schön was für eine Unterstützung du von einer “anonymen” Crowd bekommst. 

Es müssen ja hunderte Menschen gewesen sein.

Nina: Es sind natürlich auch immer Menschen darunter, die ich auch kenne. Familie, Freunde und so was. Aber die meisten kenne ich natürlich nicht. Ich habe das Gefühl, dass gerade Leute die eine größere Summe spenden selber einen Bezug zu genau dieser Thematik haben und es ihnen deshalb sehr am Herzen liegt.

Ich habe zum Beispiel einen ehemaligen Dozenten von meiner Uni aus England, der echt große Summen bei dem ersten Crowdfunding und auch noch mal bei dem zweiten Crowdfunding gespendet hat. Einfach, weil seiner Schwester das auch passiert ist und die nie Gerechtigkeit erfahren hat. 

Ich glaube einfach auch, weil sie damals so ein großes Schamgefühl für das Thema hatte, hatte sie gar nicht angezeigt. Das ist eine Wunde in der Familie. Viele Leute sehen das, was ich mache stellvertretend für ihre. Was tatsächlich auch meine Absicht ist. Ich mache es nicht nur für mich.

So kommt es dann zustande, dass viele Menschen größere Summen spenden, weil die mit dem Thema auf irgendeine Art und Weise persönlich betroffen sind. 

Du hast aber absolut recht, das ist Wahnsinn. Ich kann es nicht in Worte fassen wie viel mir das bedeutet, dass da so ein Rückhalt und solch eine Unterstützung da ist. 

Es gibt ja auch Fälle wie bei Natascha Kampusch, die sich teilweise noch mit Shitstorms auseinandersetzen muss. Mit Hass überschüttet wird nur, weil sie nicht der Opferrolle entspricht, den die Leute erwarten oder gewohnt sind.

Ich bin auch nicht das klassische Opfer. Bin dafür quasi viel zu stark, viel zu fröhlich und viel zu glücklich…

Mai: … zu laut und zu viel Frau. So viel Bullshit.

Nina: Trotzdem passiert mir so was nicht, sondern ich krieg nur immer wahnsinnig viel Zuspruch und Unterstützung. Wenn man mal bei der Petition schaut, was die Leute da teilweise drunter schreiben. Wo ich das Update dazu geschrieben habe, dass das Klageerzwingungsverfahren gescheitert ist, wie mitfühlend darauf reagiert wurde.

Wahnsinn. 

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte - den Täter anzeigen und auf Prozess hoffen

Taeter anzeigen Letzte Chance auf einen Prozess - Europaeischer Gerichtshof fuer Menschenrechte

Letzte Chance auf einen Prozess - Europaeischer Gerichtshof fuer Menschenrechte

Mai: Wie ist es dann beim Bundesverfassungsgericht weitergegangen? Oder ging es da schon weiter?

Nina: Nein, das ist nämlich auch wieder das Schöne an unserem System. Das Opfer hat einen Monat Zeit. Das Bundesverfassungsgericht hat quasi gar keine Deadlines. Die können sich so lange Zeit lassen wie sie wollen. Der Anwalt hat gesagt, er rechnet mit ein bis zwei Jahren.

Am 09. Juli 2020 haben wir es eingereicht. Ist auch richtig durch die Presse gegangen, was mich echt gefreut hat. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ist in Straßburg und ich hab gehört, dass es da noch nie ein Urteil im Bereich Sexualstrafrecht aus Deutschland gab. (Mai staunt.)

Ich habe leider immer noch keine Zahlen dazu. Mich würde nämlich mal interessieren, wie da die Rate ist. Es kann ja Fälle geben und es kommt nicht zum Prozess und deswegen gibt es auch kein Urteil. 

Aber Urteil gab es noch keines. Wenn man dann sieht wie viel in unserem Land, in dem Bereich schiefläuft, dann ist das doch schon irgendwie verwunderlich oder?

Standpunkt heute: Nina kämpft immer noch. 

Taeter anzeigen Ninas meetoo Geschichte hat keine Gerechtigkeit erfahren

Ninas meetoo Geschichte hat keine Gerechtigkeit erfahren

Mai: Gleichzeitig denke ich mir: Du hast jetzt schon 15.000 € auf den Tisch gelegt. Welche Frau setzt sich hin und sagt: “Ich mache das, keine Ahnung, wo die Kohle herkommen wird. Ich vertraue darauf, dass das Geld herkommt. Ich vertraue auf Crowdfunding. Ich vertraue auf “Change.org”. Ich vertraue darauf, dass es irgendwie funktioniert, und ich gehe den Weg für ganz viele andere und nicht für mich selber?” It's Nina!

Einerseits ist es krass traurig, andererseits kann ich es irgendwo auch verstehen.

Nina: Ja, weil es so bitter ist. Es werden einem so viele Steine in den Weg gelegt du musst so viele Hürden gehen. Du musst so viele Voraussetzungen mitbringen, um es überhaupt machen zu können. Kohle ist wahrscheinlich die Größte. 

Du brauchst solch eine Ausdauer und Kraft. Ich habe mich da einfach so maßlos drüber geärgert, dass ich jetzt nur einen Monat habe. Was wär das Problem, wenn ich einfach drei Monate bekomme? Wenn alle Opfer drei Monate bekommen? 

Dann kannst du erst einmal verdauen. Dann kannst du dir in Ruhe die nächsten Schritte überlegen. Du kannst versuchen, das Geld zu sammeln. Du kannst dir einen Anwalt suchen. Dann hat auch der Anwalt immer noch ein Monat, um seine Arbeit ordentlich zu machen. 

Es ist alles schon so darauf ausgelegt, dass du aufgibst. Alles ist darauf abgestimmt. Arbeitsminimierung oder was auch immer. Ja, es ist echt traurig. Trotzdem würde ich den Täter anzeigen und das gleiche heute wieder tun.

Jetzt heißt es: einfach abzuwarten. Das Crowdfunding läuft immer noch, haben auch schon richtig viel zusammenbekommen. Jetzt habe ich auch überhaupt keinen Zeitdruck. Das nächste Mal brauche ich dann den Betrag, wenn es dann, wie es sehr wahrscheinlich sein wird, vom Bundesverfassungsgericht abgeschmettert wird. 

Dann kommt es an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte und dann ist wieder diese große Anwaltssumme fällig. 

Das werden noch mal so 10.000 € und der Rest ist dann quasi puffer, falls Gerichtskosten anfallen. Wobei ich ehrlich gesagt gar nicht weiß, ob das knapp oder großzügig kalkuliert ist. Ich kenn mich da gar nicht aus und weiß auch irgendwie nicht, wo ich da an zuverlässige Informationen kommen kann zum Thema Gerichtskosten. 

Wahrscheinlich hängt es auch von so vielen Faktoren ab, die du im Voraus gar nicht wissen kannst. Kann eine Verhandlung von ein paar Stunden sein oder von mehreren Tagen. Aber ich bin jemand, die extrem ins Leben vertraut und das wird sich dann da regeln.

Falls es dann doch teurer wird, dann wird sich da auch irgendwie das Geld finden. Da brauche ich mir über was, was in fünf Jahre kommt keine Sorgen machen.

Mai: Nein und die Vergangenheit hat ja gezeigt, dass das Geld zusammenkommt. Dass du da einfach unglaublich viele Unterstützer:innen hast.

Veränderung im System ist der Hintergrundgedanke - von: Täter anzeigen bis hin zum Prozess

Metoo Deutschland es muss sich was veraendern

Täter anzeigen - Metoo Deutschland es muss sich was verändern

Mai: Für alle Leser:innen: Einmal die Petition wo ihr Unterschreiben könnt. Dort bekommt ihr einfach die ganzen Updates von der Nina, wenn was Neues passiert.

Ganz wichtig: Die Crowdfunding-Kampagne. Jeder Euro zählt.

Aber ganz wichtig, erzählt es einfach weiter. Selbst wenn ihr nur den Blogartikel teilt, es hilft alles und das ist so wichtig. Die Nina geht den Weg gerade für uns alle.

Nina: Ja, ich probiere es. Ich habe die, hoffentlich nicht naive Hoffnung, dass es wirklich was verändern kann. Selbst, wenn es “nur” in der Gesellschaft etwas verändert, sodass ein Bewusstsein entsteht.

Ich weiß, dass solche Veränderungen sehr langsam voranschreiten. Dass so etwas lange dauert, vor allem wenn man dann auch über Veränderungen im Justizsystem spricht. Das geht noch langsamer. 

Wenn allein schon immer mehr Leute verstehen, dass so wie der Ist-Zustand in unserem Land absolut nicht tragbar ist, ein erster Schritt in die richtige Richtung ist und schon ein Gewinn. 

Ich freue mich natürlich über jede Unterstützung aber immer nur so viel, wie man geben kann.

Ninas Herzensprojekt: Problematik in der Gesellschaft verankern

Hole dir Hilfe oder sprich darueber - Metoo Deutschland

Hole dir Hilfe oder sprich darüber - Täter anzeigen und gewinnen

Mai: Provokative Frage: Was machst du, wenn Geld über ist?

Nina: Da habe ich tatsächlich schon Pläne. Ich bin gerade dabei einen Verein zu gründen. Der soll später “K.O.” genannt werden: Steht für “kein Opfer”. Der Schwerpunkt von dem Verein ist Öffentlichkeitsarbeit und Präventionsarbeit, zu den Themen K.O.-Tropfen und sexualisierte Gewalt allgemein. 

Was mir noch so ein Herzensanliegen ist: das Thema Konsens. Also ich kämpfe sehr dafür, dass wir eine Konsens-Kultur in unserem Land entwickeln. Hat eigentlich einen sehr simplen Grundsatz von: “Alles, was nicht einvernehmlich stattfindet, ist eine Vergewaltigung.”

Dass das in den Köpfen ankommt und dann vielleicht auch irgendwann, hoffentlich in der Gesetzgebung. An Schulen gehen. Junge Leute erreichen, vor allem aber einfach in der Gesellschaft durch viel Öffentlichkeitsarbeit versuchen, ein Bewusstsein zu schaffen. 

Ich denke halt auch, dass der erste Schritt für Veränderung, erst mal um die Problematik Bescheid zu wissen, ist. Ich denke, dass das viele Leute noch nicht tun, weil ich immer wieder sehr schockierte Reaktionen erlebe.

Sei es Leute aus dem Bekanntenkreis oder auch tatsächlich Journalisten:innen und Redakteur:innen, die sich noch nicht tiefer mit der Thematik beschäftigt haben. Die müssen oft richtig schlucken, wenn ich da ein paar Eckdaten, Zahlen, bisschen von meiner Erfahrung und von anderen betroffenen in den Raum werfe. 

Ich finde, es muss einfach in der breiten Masse ankommen, dass wir da einen Zustand haben der zutiefst Opfer- und frauenfeindlich ist. Wenn wir eine gesündere Gesellschaft werden wollen, müssten wir gemeinsam eine Änderung wollen.

Das ist die Grundvoraussetzung dafür, dass es eine Änderung geben kann. Das sehe ich als die Hauptaufgabe von dem Verein, weil ich ja auch schon eine relativ große Plattform habe. Über die Petition und auch durch viele Zeitungsartikel, Fernsehauftritte und so was.

Ich denke, wenn ich das noch ausbauen kann und immer mehr Leute erreiche dann kann ich vielleicht in die Richtung etwas bewirken. Was mir auch noch wichtig ist, dass der Verein ein bisschen als Schnittstelle fungiert. Zwischen diesen ganzen Instanzen: Polizei, Justiz, auch andere Opfer Organisationen, Betroffene, die Gesellschaft.

So stelle ich mir das vor.

Mai: Das klingt ganz wunderbar. Das schließt auch wieder ein bisschen den Kreis zu dem, was du ganz am Anfang im ersten Teil gesagt hast. Eigentlich bist du ja Übersetzerin, aber es ruft jetzt einfach etwas ganz anderes nach dir und dafür gibts du ja auch in Teilen deine Ortsunabhängigkeit auf.

Aber wie du sagst, das ist jetzt gerade wichtig und auch irgendwo eine berufliche Veränderung. Einen Verein zu leiten ist auch noch mal ein ganz anderes Thema.

Nina: Ja. Du wirst das auch selber von dir kennen, weil das Thema ja auch bei dir sehr präsent ist. Es ist auch nicht immer leicht, wenn man sich fast jeden Tag von seinem Leben mit dem Thema sexualisierte Gewalt auseinandersetzt.

Da gibt es sicher fröhlichere Themen, aber es ist einfach notwendig. Was ich auch total schön finde, was mir immer total viel Kraft und Energie gibt, ist die Vernetzung mit anderen und auch zu sehen wie viele tolle Menschen es da gibt, die sich dafür einsetzen.

Die, die gleichen Probleme sehen. Die für die gleichen Ziele kämpfen. Solidarisch, Schulterschluss mäßig, gemeinsam dafür kämpfen finde ich einfach total schön. Das gibt mir immer die Kraft da weiterzumachen.

Mai: Da stimme ich dir voll zu. Genauso geht es mir. Genauso spüre ich das auch. Die letzten Wochen und Monate, wo ich mehr auf Instagram unterwegs war, habe ich immer mehr mit wachsender Begeisterung Accounts gefunden die wachsen und wachsen und richtig viel reißen.

Nina: Ja. Das ist echt schön.

Mai: Von der Stimmung her neigen wir uns dem Ende zu. Ich möchte dir, als Gast das letzte Wort überlassen. Was auch immer du den Leser:innen noch mitgeben möchtest.

Nina: Da möchte man ganz wichtige Worte mitgeben. Da bin ich gar nicht darauf vorbereitet. Ich wünsche mir einfach, dass wir uns da alle zusammen nicht einfach unterkriegen lassen. Dass wir trotz, dem ganzen Schmerz und Trauma der vorhanden ist, die Hoffnung nicht aufgeben und es irgendwie ins Positive verändern können.

Mai: Danke dir.

Das war der zweite Teil von Ninas Kampf mit der Justiz. Wenn du den ersten Teil noch nicht gelesen hast und du wissen möchtest, was Nina passiert ist und wie sie zu dem ganzen Thema überhaupt kommt, dann lies den gerne. 

Wenn dich interessiert, wie meine Gerichtsverhandlung abgelaufen ist, wie das Täter anzeigen bei mir funktioniert hat, dann verlinke ich dir den Blogpost dazu hier.

Bis bald! Deine Mai 💛

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About the Author

Hi, ich bin Mai 😊 Ich habe es mir zur Aufgabe gemacht Opfern sexuellen Missbrauchs zu zeigen, dass sie nicht alleine sind. Auch wenn eure Scham und Angst etwas anderes erzählen: Das ist nicht wahr! Und es kommt noch besser: Der richtige schöne Teil eures Lebens liegt noch vor euch! Ich habe es geschafft, aus dem schlimmsten Erlebnis meines Lebens, eine enorme Kraft zu ziehen & mein Leben nach meinen Ideen neu zu gestalten - also kannst du das auch! Deine Mai 💛

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