Drei Jahre metoo-Debatte - Ist die Gesellschaft gerechter geworden? đŸ€”

Drei Jahre #metoo-Debatte – Ist die Gesellschaft gerechter geworden? (Teil 2/2)

Nov 25

Dies ist der zweite Teil der Diskussionsrunde, an der ich teilnehmen durfte. Hier könnt ihr diese nachlesen. Wir sprechen ĂŒber die metoo-Debatte in Amerika und hier in Deutschland und wie uns das Movement heute drei Jahre nach dem Start im Privaten und auch im Arbeitsleben beeinflusst.

Hat es uns ĂŒberhaupt geprĂ€gt? DafĂŒr gebe ich die Leitung der Diskussion an die Radiosprecherin Sina Peschke vom MDR Sachsen Radio ab.

Sina Peschke (Radio MDR): Ich begrĂŒĂŸe Sie ganz herzlich zum zweiten Teil der Diskussionsrunde vom MDR Sachsen Radio. Der Hashtag #metoo hat vor drei Jahren eine weltweite Welle an Offenbarungen von sexuellem Missbrauch ausgelöst. Heute fragen wir uns: Was hat diese metoo-Debatte bewirkt? Ist die Gesellschaft fĂŒr Frauen gerechter geworden?

Wir sprechen unter anderem mit einem Missbrauchsopfer, das durch #metoo sein persönliches Schicksal endlich aufarbeiten konnte.
Außerdem fragen wir nach, wie #metoo die Filmbranche und das Arbeitsleben im Allgemeinen verĂ€ndert hat.

Die StudiogĂ€ste in dieser Diskussionsrunde sind: Jana Brandt, MDR Programmchefin fĂŒr den Bereich Fernsehfilm. Sexuelle BelĂ€stigung zu ihrer Zeit und ihre BerĂŒhrungspunkte. Sitzen Frauen heute am lĂ€ngeren Hebel?

Mai Nguyen, sie hat selbst sexuellen Missbrauch erlebt und den Mann, der sie missbraucht hat, vor Gericht gebracht. Wer ihre Geschichte lesen möchte, der findet sie im ersten Teil der Diskussionsrunde.

Wie sich ihr Verhalten, nach dem sexuellen Missbrauch verÀndert hat und wie Eltern ihrem Kind anmerken, das etwas nicht stimmt, bespricht sie hier.

Thomas Buchmann ist bei uns. Leiter der Sportjugend im Landessportbund-Sachsen und Experte zum Thema Kinderschutz und PrĂ€vention bei sexueller Gewalt. Er ist außerdem Kinderschutzbeauftragte im sĂ€chsischen Judoverband und heute der einzige mĂ€nnliche Gast.

Welche prĂ€ventiven Vorkehrungen sie in Sportvereinen einsetzten, um aller Art sexuellen Missbrauch zu verhindern und was es fĂŒr VorfĂ€lle gibt, erzĂ€hlt er in diesem Teil.

Katharina Wilhelm und Antje Passenheim sind bei uns. Beides sind ARD Korrespondentinnen. Antje Passenheim in New York und Katharina Wilhelm in Los Angeles.

Katharina berichtet ĂŒber #metoo in Hollywood, ĂŒber den Harvey Weinstein Fall, der noch lange nicht vorĂŒber ist.

Außerdem ist jetzt auch Christina Stockfisch vom Deutschen Gewerkschaftsbund dort zustĂ€ndig fĂŒr europĂ€ische und internationale Gleichstellungspolitik dabei. Sie definiert fĂŒr uns in diesem Teil, was alles zu BelĂ€stigung gehört. Wie viele Missbrauchsopfer sich letztendlich wehren und wie hoch die Rate ist an Unternehmen, die nicht wissen, zu was sie verpflichtet sind.

Sina Peschke (Radio MDR): Thomas Buchmann, der einzige Mann heute in unserer Runde. So was gibt es eher selten. Meistens ist es umgekehrt. Der Leiter der Sportjugend im Landessportbund Sachsen. Sie sind Experte zum Thema Kinderschutz und PrĂ€vention sexueller Gewalt. Sie sind außerdem Kinderschutzbeauftragter im sĂ€chsischen Judoverband und waren jahrelang selbst in dieser Sportart aktiv.

Diese Jobbeschreibung wĂŒrde es nicht geben, wenn es nicht nötig wĂ€re, habe ich recht?

Thomas Buchmann: Ich sag mal so, im Sport ist die gesamte Thematik schon seit vielen Jahren mit verankert. Dass wir durch den deutschen olympischen Sportbund und die deutsche Sportjugend zu dieser Thematik seit vielen Jahren versuchen, auch prÀventiv zu agieren.

NatĂŒrlich hat man in den vergangenen Jahren sicherlich auch medial den einen oder anderen Übergriff wahrgenommen.

Metoo-Debatte und prÀventive Vorkehrungen in Sportvereinen, um aller Art sexuellen Missbrauch zu verhindern

Radio: Was sind das fĂŒr VorfĂ€lle? Wie mĂŒssen wir uns das vorstellen?

Thomas Buchmann: Das können sehr unterschiedliche Sachen sein. Also es geht von sexuellen Grenzverletzungen bis hin zu schweren Übergriffen. Aber auch ich sag mal "kleineren Andeutungen".

Uns erreichen zum Beispiel VorfĂ€lle, das ein Vorstand eines Vereins mitbekommen hat, das es Trainer bei ihnen gibt, die scheinbar ĂŒber WhatsApp mit den Jugendlichen aus der Trainingsgruppe schreibt.

Wie ist damit umzugehen? Wie bewerten wir das? Es ist eine große Unsicherheit, auch in den Sportverein mit aktiv. Das ist sicherlich auch so, wie wir das vorhin mit der MĂ€nnerwelt kurz andiskutiert haben, dass es grundsĂ€tzlich auch in den Köpfen der Leute etwas gemacht hat.

Man darĂŒber nachdenken muss und dass auch ihr eigenes Verhalten selbst reflektiert wird. Und das finde ich sehr wichtig. Auch, dass das nicht nur in der breiten Gesellschaft passiert, sondern auch im Sportbereich. Das wir uns dieser Thematik stellen.

Sina Peschke (Radio MDR): Wie oft kommt das vor?

Thomas Buchmann: Wir haben zu den FĂ€llen keine konkreten Zahlen, dass wir das sagen können. Es gibt immer wieder Anfragen, wo Unsicherheiten in den Verein aufkommen. Da versuchen wir zu intervenieren, zu beraten und natĂŒrlich auch dem Verein gewisses Handwerkszeug an die Hand zu geben, wie man ein Schutzkonzept aufbauen kann.

Aus unserer Sicht ist jeder Fall, der auftaucht, ein Fall zu viel ist. Genau deswegen mĂŒssen wir in die Strukturen hereingehen, um mit Schutzkonzepten noch prĂ€ventiver wirksam zu werden.

Sina Peschke (Radio MDR): Schutzkonzept? Was machen sie?

Thomas Buchmann: Wir versuchen, die Sportvereine dabei zu beraten. Erst mal ist es natĂŒrlich sehr wichtig, wenn man ein großes Beschwerdemanagement auch fĂŒr Kinder und Jugendliche im Verein aufbauen möchte, dass es eine Ansprechperson fĂŒr dieses Thema gibt.

Die sich auch mit einem Netzwerk auseinandersetzt, das, auch wenn es ein Problem gibt, welches gravierender ist, professionelle Hilfe geholt werden kann. Jemand, der sich im Themenfeld auskennt. Diese Ansprechperson muss es in einem Sportverein erst mal geben.

Dass eine Vertrauensperson ĂŒberhaupt existiert, an die sich Kinder und Jugendliche wenden können. Das ist sehr wichtig.

Sina Peschke (Radio MDR): Können sie das wirklich leisten, diese Struktur aufzubauen? Dass es in jedem Verein transparent jemanden gibt?

Thomas Buchmann: Wir versuchen seit vielen Jahren, dahingehend zu agieren. NatĂŒrlich mĂŒssen wir erst einmal das Thema mit einem Sensibilisierungsprozess in die Vereine bringen.

Das ist natĂŒrlich schon mal ein schwieriges Brett, in welches man da bohrt. Ich sage es mal so, das Thema steht in einem Sportbetrieb nicht an oberste PrioritĂ€t, wenn man die Vereine hört.

Wir sehen das Thema jedoch als sehr wichtig an. Auch gesellschaftlich gesehen. Weil uns das gesunde aufwachsen, schon von Kind an bis ĂŒber Jugendlichen und ins hohe Alter hin, damit oberste PrioritĂ€t hat.

Da mĂŒssen wir natĂŒrlich auch in solchen metoo-Debatte, die gesellschaftlich gefĂŒhrt werden, die Vereine fit machen und agieren.

Sina Peschke (Radio MDR): Wer sind denn die TĂ€ter oder TĂ€terin?

Thomas Buchmann: Wenn man den Studien vertraut, ist es natĂŒrlich meistens MĂ€nner geprĂ€gt. Es gibt auch eine Studie, die vor einigen Jahren im Bereich des Nachwuchsleistungssportes durchgefĂŒhrt wurde, die nannte sich “safe sport”.

Die hat eben auch deutlich herausgestellt, dass es sicherlich ein Aspekt in der Trainer-Athlet-Beziehung oder Bindung ist. Weil diese Bindung ein gewisses VertrauensverhÀltnis hat, was vielleicht missbraucht werden kann.

Zum Großteil gibt es aber die Peer-Gewalt: AnzĂŒglichkeiten unter Gleichaltrigen. Da sagen wir, dass wir ganz besonders in den Prozess rein und somit in den Sportverein hereinkommen mĂŒssen.

Damit wir mit den Jugendlichen und den Kindern arbeiten und Wertevermittlung im Sport ganz frĂŒh gelebt werden kann. Das eine gewisse Form von respektvollem Umgang und Fairness hohe PrioritĂ€t haben.

Sina Peschke (Radio MDR): Ich stelle mir das relativ schwierig vor, denn die Vereine leben oft von vielen Ehrenamtlichen, wo sie auf der einen Seite froh sind, dass das ĂŒberhaupt jemand macht. Ich kenne das aus meiner eigenen Familie. Wie schwierig es ist, ein Fußballtrainer zu bekommen, die dann auch wirklich dranbleiben und das nicht nur ein Jahr machen.

Sie mĂŒssen natĂŒrlich schauen, wen holen sie sich in den Verein. Wie machen sie das, ohne gleich Misstrauen zu schĂŒren?

Thomas Buchmann: Es ist natĂŒrlich schwierig. Wir reden von Kinder- und Jugendschutz. Wir fangen gar nicht mit dieser PrĂ€vention sexualisierte Gewalt an, weil das ist ein sehr hartes Wort, um ĂŒberhaupt erst mal die Vereine dazu zu bewegen.

Wir schauen danach, dass bei der Auswahl von Übungsleitern sorgfĂ€ltig nachgefragt wird, ob die Vereine mit den Leuten das Thema thematisieren. Wie mit dieser Thematik im Verein umgegangen wird.

Welche AnsĂ€tze gibt es. Welche “Goes” und “No goes”? Welche Verhaltensregeln sind an der Tagesordnung? Und wie sieht der Verein seine Aufgabe in diesem Bereich, wenn sie mit Übungsleitern arbeiten?

Das finden wir besonders wichtig, dass das auch thematisiert wird. Ansonsten im Verein sollten Übungsleiterinnen und Übungsleiter regelmĂ€ĂŸig dazu geschult werden. Damit es einen gewissen Wissensstand gibt, der aktuell ist und der von allen gleich umgesetzt wird zum Schutz von Kindern und Jugendlichen.

Sina Peschke (Radio MDR): Können Sie das auch irgendwie kontrollieren?

Thomas Buchmann: Es gibt immer natĂŒrlich die Möglichkeiten, wenn man einen neuen Trainer oder neue Trainerin einstellt, die mit Kindern und Jugendlichen arbeitet, dass man beispielsweise Hospitation macht.

Man geht dort rein und schaut, ob derjenige wirklich mit Kindern und Jugendlichen arbeiten kann. Das denke ich, erkennt man relativ schnell. Aber auch wie die RĂŒckmeldung von der Trainingsgruppe selber ist. Wie mit ihnen umgegangen wird, ob das funktioniert und wie das VertrauensverhĂ€ltnis ist.

Als Eltern erkennen, wenn mit ihrem Kind etwas nicht stimmt

Sina Peschke (Radio MDR): Wie wir wissen, reden Missbrauchsopfer selten und schweigen oft jahrelang. Wie können Eltern erkennen, dass mit ihren Kindern etwas nicht stimmt und sexuelle BelÀstigung dahinter stecken könnte?

Thomas Buchmann: Die Eltern kennen ihr Kind natĂŒrlich am besten. Ich denke, dass die ganz konkreten VerhaltensĂ€nderungen, wie wir es vorhin auch bei der Frau Nguyen gehört haben, wenn man in sich gekehrt ist und vom Verhalten her völlig anders wird, sich schon bemerkbar machen.

Wir erwarten eben auch von unseren Übungsleiter/innen einen pĂ€dagogischen Weitblick. Das nicht nur geschaut wird, was passiert hier im Training, sondern wie sind die Kinder und Jugendlichen von ihrer Einstellung her. Wie geht es Ihnen? Immer wieder nachzufragen.

Man bemerkt da sicherlich im Trainingsprozess als Vertrauensperson, als Trainer, falls irgendetwas nicht stimmt. Dieser pÀdagogische Weitblick gehört auch einfach mit dazu.

VerhaltensÀnderung von Mai Nguyen nach ihrem sexuellen Missbrauch

Sina Peschke (Radio MDR): Frau Nguyen, sie hatten es vorher in ihrer ErzÀhlung auch schon gesagt, dass Kinder oder auch sie in ihrem konkreten Fall nach einer sexuellen BelÀstigung oder sexueller Gewalt sehr ruhig werden. Gibt es noch andere Symptome, wo sich Eltern orientieren können?

Mai Nguyen: Sehr viele. Ich möchte beim Wording kurz einsteigen, weil sie gerade von sexueller Gewalt gesprochen haben. Wir sprechen gerne von sexualisierter Gewalt, weil sexuell eigentlich etwas Positives ist. Wir sprechen aber hier von sexualisierter Gewalt. Es ist eine Gewalt, die in einer sexualisierten Form genutzt wird.

Sina Peschke (Radio MDR): Wieder etwas dazu gelernt, danke.

Mai Nguyen: Es gibt ganz viele unterschiedliche Anzeichen. Das Spannende, da haben wir noch gar nicht drĂŒber gesprochen, ich habe mittlerweile seit vier Monaten den deutschsprachigen #metoo Podcast, der heißt “#metoo - Das Schweigen hat ein Ende.”

Ich habe zwei Formate, ein quasi Psychoedukationsformat, wo es einfach ganz viel Wissen rund um das Thema Trauma gibt. Die andere HĂ€lfte besteht aus Interviews mit Opfern, Betroffenen, Überlebenden, egal wie sie sich nennen und in welchem Stadium der Heilung sie sich gerade befinden.

Da habe ich mittlerweile ein ganz großes Netzwerk an Menschen, die schon so weit waren, dass sie offen im Podcast ĂŒber ihre #metoo-Story reden konnten. Seit drei Jahren spreche ich öffentlich auf meinen Social Media KanĂ€len ĂŒber meine Geschichte und es haben sich ĂŒber 150 Frauen und drei MĂ€nner bei mir gemeldet, dass ihnen das auch oder Ähnliches passiert ist.

Die MÀnner kann ich leider an einer Hand abzÀhlen, vielleicht wird das ja noch besser (Mai lacht). Es ist wirklich sehr vielfÀltig. Das hat der Herr Buchmann ja auch gerade schon erzÀhlt.

Klar, dass ruhiger werden aber im Prinzip alles, was irgendwie anders ist. Jedes Verhalten, das sich irgendwie erst einmal verÀndert, kann man als Erwachsener, als Begleitperson, egal ob Eltern oder Trainer, einfach erst mal hinterfragen und schauen, ob dieses Verhalten zum Beispiel immer in einem Àhnlichen Rahmen auftritt.

Geht das Kind auf einmal nicht mehr gern zum Sport oder wie bei mir, dass ich ganz plötzlich nicht mehr zu diesem einen bestimmten Onkel gehen wollte. Also, wir sind nicht verwandt, aber ich habe ihn Onkel genannt. Ein anderes Beispiel ist das meine Schwestern und ich ĂŒber die Ferien bei ihm ein paar Tage zu Besuch waren. Ich wollte auf gar keinen Fall ĂŒber Nacht bleiben und konnte es meinen Eltern aber nicht erklĂ€ren.

Das heißt, ich habe mir die haarstrĂ€ubendsten ErklĂ€rungen, im Nachhinein weiß ich das, aus den Fingern gezogen. Habe mir eine Fischallergie herbeigezaubert und gesagt, ich bin gegen die FischstĂ€bchen allergisch, die wir heute bekommen haben. “Mama, kannst du mich bitte abholen Mama?”

Ich war nie ein weinerliches Kind mit Heimweh, nur von dort aus wollte ich unbedingt wieder heim.

Wo kann man gezielter eingreifen - metoo-Debatte

Sina Peschke (Radio MDR): Herr Buchmann. Wenn Sie dieses Thema mit Jugendlichen oder auch Kindern in ihrem Verein besprechen, beziehungsweise besprechen sie es ĂŒberhaupt? Sprechen sie es an oder reduzieren sie das auf ein GesprĂ€ch mit den Trainern?

Thomas Buchmann: Wir haben verschiedenste Strukturen, in denen wir versuchen zu sensibilisieren. NatĂŒrlich ist es wichtig, dass sich das Gesamtsystem dieser Thematik stellt und dass das Gesamtsystem sich auch als großes Ganzes bewegt.

Deswegen ist es natĂŒrlich fĂŒr uns sehr wichtig, das, wenn wir das Thema in die Sportvereine bringen möchten, die FunktionĂ€rsebene und natĂŒrlich dahinter geschaltet auch die Trainerinnen und Trainer Ebene an einem Strang zieht. Sich der Thematik öffnet.

Danach wollen wir auch an die Kinder und jugendlichen Rang. Im Sinne von Workshop-Formaten versuchen Wertevermittlung, respektvoller Umgang, Fairness, was im Prinzip auch die Werte des Sports sind, zu vermitteln.

Das muss man sicherlich auf jugendgerechte Art und Weise machen, dass das auch ankommt.

Sina Peschke (Radio MDR): Frau Nguyen, wie war das damals in der Schule bei ihnen? Oder im Sportverein? Gab es dort schon offiziell Ansprechpartner zu diesem Thema? Können sie sich noch daran erinnern?

Mai Nguyen: Ich weiß, dass wir auf dem Gymnasium einen Vertrauenslehrer hatten. Was genau der getan hat, war mir damals nicht klar. Es hieß immer nur, man könne sich bei Problemen an ihn wenden.

Ich glaube, es hĂ€tte mir geholfen, wenn “Probleme”, wo ja alles dazugehören kann, Beispiele dazu genannt worden wĂ€ren. Wie zum Beispiel, wenn jemand ĂŒbergriffig wird, wenn jemand sexualisierte Gewalt erlebt oder wenn da irgendwas ist: “Ihr könnt mit allem zu ihm kommen.”. Ich glaube, das hĂ€tte mir TĂŒr und Tor geöffnet.

Sina Peschke (Radio MDR): Das hĂ€tte ihnen damals wahrlich geholfen. Da hĂ€tten sie nicht so viele Jahre gebraucht, um darĂŒber sprechen zu können.

Sina Peschke (Radio MDR): Ich begrĂŒĂŸe jetzt in unserer Runde: Christina Stockfisch vom Deutschen Gewerkschaftsbund, dort zustĂ€ndig fĂŒr europĂ€ische und internationale Gleichstellungspolitik. Und jetzt auch unsere ARD Korrespondentin in Los Angeles.

Umfrage: Das allgemeine VerstÀndnis in der Gesellschaft nach drei Jahren. #metoo-debatte: Was sagen die MÀnner?

Wie hat sich das allgemeine VerstĂ€ndnis in der Gesellschaft zur metoo-Debatte in den letzten drei Jahren entwickelt? Vor allem was denken die MĂ€nner darĂŒber? Wir haben sie nĂ€mlich einfach mal gefragt.


1. Befragter: Ich wĂŒrde mit jeder einen Kaffee trinken gehen, weil ich dann in der Öffentlichkeit bin. Ich wĂŒrde sie nicht unbedingt zu mir nach Hause einladen.

2. Befragter: Im Grunde genommen ist es schwierig, weil die Frauen teilweise doch mehr Recht bekommen, obwohl man vielleicht gar nichts gemacht hat. Das ist heutzutage immer noch so, dass Frauen da am lÀngeren Hebel sind. Ob da was passiert ist, kann man oft schlecht beweisen.

Es gibt auch Frauen, die MĂ€nner schlagen. Der Mann traut sich da dann nicht gegen aufzustehen, weil sie denken, dass sie ein Feigling sind. Ich denke schon, dass manche MĂ€nner da ĂŒbervorsichtig werden und schiss bekommen.

Oftmals sind die Frauen dann auch ĂŒberempfindlich bei einem klapps auf die Schulter, wo der Mann eigentlich gar keine bösen Absichten hatte.

“Frauen sitzen am lĂ€ngeren Hebel”

Sina Peschke (Radio MDR): Frauen sitzen am lÀngeren Hebel. Was sagen Sie dazu? Frau Brandt?

Jana Brandt: Mich hat ehrlich gesagt, eben die Formulierung bewegt. Dass Frauen dann gleich wieder als ĂŒberempfindlich dargestellt werden. Das war eben eine sehr klare mĂ€nnliche Sicht, die uns schon wieder in der geglaubten EmotionalitĂ€t ins Unrecht setzt.

Sina Peschke (Radio MDR): Können Sie das nachvollziehen?

Jana Brandt: Nein. Ich glaube, das genau dieses scheinbar anerzogene SelbstverstĂ€ndnis: “Das ist doch nicht so schlimm.”, “Hab dich doch nicht so.” die Basis fĂŒr Dinge ist, in die sie dann auch gleiten können, wie wir vorher schon darĂŒber gesprochen haben.

Das wiederum Frauen lernen mĂŒssen, sehr klare Signale zu setzen. Ob etwas okay ist oder ob es eben nicht okay ist. MĂ€nner damit umgehen mĂŒssen. Bzw. Andersherum. Ein “Nein” zu akzeptieren.

Das mĂŒssen wir kommunikativ mehr miteinander lernen. Wir Frauen mĂŒssen klarer formulieren, was wir mögen oder nicht. Wir dĂŒrfen uns mehr trauen. Dazu fordere ich jedenfalls auch meine deutlich jĂŒngeren Mitarbeiterinnen auf, klar zu formulieren, was fĂŒr sie okay oder eben nicht okay ist.

Sina Peschke (Radio MDR): Aber das macht ja dann die Situation manchmal fast schon kaputt. Herr Buchmann, flirten sie noch beim Landessportbund oder haben Sie aufgegeben?

Thomas Buchmann: Mit Sicherheit hat die gesamte metoo-Debatte in den Köpfen der MĂ€nner etwas bewegt. Das man ĂŒber die Thematik nachdenkt und eine gewisse Selbstreflexion ĂŒber das Verhalten macht.

Es ist mit Sicherheit eine große Verunsicherung.

Sina Peschke (Radio MDR): Sind sie jetzt verunsichert, wenn sie eine Frau sehen, mit der sie gerne kurz quatschen wĂŒrden? Machen sie es noch, oder sagen sie: lieber nicht?

Thomas Buchmann: Mit Sicherheit denkt man grundsĂ€tzlich als Mann erst einmal darĂŒber nach, was man fĂŒr ein Verhalten an den Tag legen wĂŒrde.

Sina Peschke (Radio MDR): Lassen sie es dann oder versuchen sie es auf eine andere Art? Das ist jetzt die Frage.

Thomas Buchmann: Nein, ich lasse das dann schon eher. Man ist einfach vorsichtiger.

Jana Brandt: Aber was wÀre verwerflich, daran zu flirten? Es ist ja nichts Verwerfliches dabei. Jedenfalls empfinde ich das so.

Sina Peschke (Radio MDR): Aber es ist doch unspannend, zu fragen. Also, so habe ich sie verstanden. Nach dem Motto: “Bist du bereit zu flirten oder nicht?”

Jana Brandt: Man kann auch versuchen, zu flirten und wenn jemand sagt, er möchte nicht, es dann zu lassen und aufzuhören.

Bilder, die in der Gesellschaft fest verankert sind

Mai Nguyen: Da wĂŒrde ich auch noch einmal einsteigen. Ich finde das eine superspannende Diskussion zu dem Thema. Sowohl flirten als auch wenn es um Sex geht. Ich finde, wir leben in einer Gesellschaft, wo Hollywood und Disney uns so sehr geprĂ€gt haben.

“Der Mann muss uns alles von den Augen ablesen und man redet nicht darĂŒber, sondern er weiß genau, was wir wollen.” Diese riesengroße Wolke. Ich finde, die ist gerade dabei, sich zu rekonstruieren.

Das dies heruntergebrochen wird und wir mal schauen, was ist da wirklich dran? Weil das ist nicht so. Auch nicht in der Partnerschaft. Jede von uns, die mal in einer Partnerschaft war und versucht hat, ein auf Prinzessin zu machen und der Partner weiß schon alles: Funktioniert nicht.

Funktioniert in einer Beziehung schon nicht. Warum sollte das vorher beim Flirt funktionieren?

Sina Peschke (Radio MDR): Was meinen Sie mit: “Einen auf Prinzessin zu machen”?

Mai Nguyen: Einerseits als Frau: “Er wird schon merken, wo die Grenze ist” und andererseits als Mann, der dann quasi als Eroberer kommen muss. Aber ich merke oft, dass es das neue Flirten gibt.

Das ist kein Verdecktes mehr. Von wegen, der Mann versucht mal die Frau zum Flirten zu ĂŒberreden oder sie zu erobern. Da ist ja quasi schon ein “Nein” mit verbunden, wenn ich jemanden ĂŒberreden oder verfĂŒhren muss. Er versucht sie dann dazu zu bringen, das zu tun.

Das Neue ist offen hinzugehen, zu sagen: “Du, ich finde dich attraktiv, ich find dich spannend, hĂ€ttest du Lust auf ein GesprĂ€ch oder wie stehst du dazu?”

Sina Peschke (Radio MDR): Ich glaube, da verschlÀgt es vielen MÀnnern die Sprache.

Mai Nguyen: Und das ist voll in Ordnung. Wir bauen uns gerade eine neue Welt, jeden Tag neu. Ich habe wirklich mit vielen Frauen gesprochen, egal, ob sie Missbrauchsopfer waren oder nicht. Im ersten Moment ist das irritierend. Aber im zweiten Moment gibt es der Frau auch eine ErmÀchtigung zu sagen: Ja oder Nein.

“Nein, hau ab.” Oder “Ja voll gerne sollen wir zusammen einen Kaffee trinken gehen?” Daraus entsteht ein Flirt auf Augenhöhe.

Sina Peschke (Radio MDR): Herr Buchmann tut mir leid, sie sind heute der einzige Mann. Ich muss ihnen auch diese Frage stellen: Wie spannend ist es, fĂŒr MĂ€nner von Frauen erobert zu werden?

Thomas Buchmann: Das kann mit Sicherheit spannend sein. Ich finde es aber sehr wichtig, was vorher noch gesagt wurde, dass es eine klare Kommunikation geben sollte. DarĂŒber, was in Ordnung ist und was nicht oder wie offen ist, Person A und wie offen ist sie nicht, wo ĂŒbertritt man Grenzen.

Das im Gegenseitigen miteinander solche Probleme nicht entstehen können.

Sina Peschke (Radio MDR): WĂ€re das was fĂŒr Sie? Diese offene Ansprache?

Thomas Buchmann: GrundsÀtzlich funktionieren Frauen und MÀnner Gehirne unterschiedlich. Ich glaube, bei MÀnnern ist es einfacher, wenn sie wissen, was sie zu tun haben oder tun sollen. Damit man damit besser umgehen kann.

Sina Peschke (Radio MDR): Also das kÀme ihnen ganz recht.

Thomas Buchmann: Das macht sozusagen alles einfacher. (lacht)

Jana Brandt erzĂ€hlt ĂŒber ihre frĂŒhere Karriere in der Filmbranche

Sina Peschke (Radio MDR): Frau Brandt, sie waren schon Fernsehredakteurin in der DDR, damals in Adlershof. Wie alt waren Sie da, wenn ich Fragen darf?

Jana Brandt: Ich habe Abitur gemacht, bin dann als junge Frau mit 18 Jahren in ein Volontariat gegangen. War damals schon beim Fernsehen der DDR und bin aus diesem Volontariat zum Journalismusstudium delegiert worden.

Damals wurde man zum Studium delegiert. Bin dann wieder zu meinem Arbeitgeber zurĂŒckgekommen.

Sina Peschke (Radio MDR): Was war damals ihr genauer Job?

Jana Brandt: Damals war ich, als ich fertig studiert zurĂŒckkam fĂŒr Filmeinkauf und fĂŒr die Filmprogrammierung zustĂ€ndig. Also von eingekauften Lizenzen, also Filme, die nicht neu produziert werden, sondern die wir alle kennen, die man im Nachgang wieder per Lizenz erwerben kann.

Stellen wir uns “Pretty Woman” vor. Man wĂŒrde es kaufen, man hat es gekauft, und man ĂŒberlegt sich, wo man es am besten programmieren kann. Das war der Beginn fĂŒr mich beruflich sozusagen Filme zu “verwalten”, sie zu begleiten und zu beschĂ€ftigen. Damals habe ich auch viele Filmkritiken geschrieben.

Sexuelle BelÀstigung zu Jana Brandts Zeit

Sina Peschke (Radio MDR): War sexuelle BelĂ€stigung damals schon ein Thema? Oder sogar TagesgeschĂ€ft, und zwar nach heutigen MaßstĂ€ben? Also, wir sprachen ja zum Beispiel im ersten Teil von Hand auf den Hintern.

Jana Brandt: Nein, zumindest in meiner Erinnerung in meiner Berufswelt, beim Fernsehen der DDR, in sehr jungen Jahren nicht. Ich erinnere mich aber an eine Situation, die mit einem beruflichen Wechsel zu tun hatte. Mit einem spÀteren GesprÀch mit einem Dienstvorgesetzten.

Das ist viele Jahre her, weit vor meiner Arbeit beim Mitteldeutschen Rundfunk. Wo es eine Couch gab, wo er sich mir auf dieser Couch genÀhert hat. Ich erinnere mich daran, dass mir das sehr unangenehm war. Es wurde keine Hand irgendwo hingelegt, sondern es war eine Bewegung auf mich zu.

Ich erinnere mich an meine damalige Sprachlosigkeit und eine gewisse Hilflosigkeit in dieser Situation nicht zu wissen, wie man darauf reagiert. Und es eigentlich doch zu wissen, man weiß nĂ€mlich, dass man aufstehen muss. Man weiß, dass man sagen muss “Lassen sie das, setzen sie sich wieder in ihre Ecke der Couch.”. Dennoch habe ich es damals nicht getan.

Aber alleine, dass ich das noch heute so in einer Sendung beschreiben kann, zeigt, wie tief eine solche Begegnung in einem sitzt. Und es war keine sexuelle Übergriffigkeit. Es war wirklich nur: Zwei Menschen sitzen in zwei Ecken auf einer Couch und einer bewegt sich.

Insofern, was ich mir vorgenommen hatte, jĂŒngeren Kolleginnen heutzutage mitzugeben, sich genau in dieser Sekunde zu trauen und "Nein" zu sagen. Damit aber auch und das ist eine sehr selbstbewusste Entscheidung, womöglich mit den Konsequenzen zu leben. Selbstbewusst mit diesen Konsequenzen zu leben und sich nicht kleiner zu machen, als man sich vielleicht in dem Moment gefĂŒhlt hat.

Ansonsten um den Gedanken zu Ende zu bringen, habe ich in meiner beruflichen Biografie unendlich viele MĂ€nner erlebt, die meine berufliche Entwicklung unterstĂŒtzt haben und faire Partner auf Augenhöhe waren.

Keiner sich in der Frage des Missbrauchs, welcher Art auch immer zu keinem Zeitpunkt zu Schulde kommen lassen hat. Eine sehr wohltuende Erfahrung, die mich auch sehr wohl begleitet hat. MÀnner, die Frauen durchaus fördern.

Sina Peschke (Radio MDR): Ich schließe trotzdem aus ihren Schilderungen: Besetzungscouch gab es nicht nur in Hollywood?

Jana Brandt: Das war noch nicht mal eine Besetzungscouch in dem Sinne. Ich glaube, dass es in jedem beruflichen Umfeld, ob es dann eine Couch ist oder nicht, eine Form gibt, wo man das GefĂŒhl haben könnte, hier ist etwas nicht ganz so wie es sein sollte.

Wie es vorhin auch schon mal beschrieben wurde. Das kann sehr unterschiedlich ausgeprĂ€gt sein. Was es einen lehren sollte, darĂŒber reden wir heute Abend auch, wie man mit persönlichen Erfahrungen anders umgeht.

Wie man diese offen kommuniziert und wie damit vielleicht die nachfolgende Generation dazu befĂ€higt, sich in einen fortgeschrittenen Kommunikationsprozess zu bewegen. DafĂŒr ist #metoo eben auch gut. Zu wissen, dass es zu etwas nĂŒtze ist, dass man nicht alleine steht.

#metoo-Stories der Zuhörer

1. #metoo-Story von einem MDR-Hörer

Sina Peschke (Radio MDR): Unsere Redakteurin Katrin Tominski ist jetzt bei uns mit den Fragen und Anmerkungen unserer Hörerinnen und Hörer. Katrin, was gibts?

Kathrin Tominski: Hallo. Wir haben hier eine sehr bewegende Geschichte gehört. Und zwar hat uns eine Hörerin aus dem thĂŒringischen Jena angerufen. Sie ist heute 81 Jahre alt und hat uns erzĂ€hlt, wie sie mit fĂŒnf Jahren von ihrem siebenjĂ€hrigen Bruder missbraucht worden ist.

Sie meinte, dass sie dadurch ihr Leben lang Angst vor MÀnnern hatte und deswegen bis heute alleine geblieben ist und noch nie in einer Therapie gewesen ist. Also das hat uns auch ziemlich bewegt, muss ich sagen. Das ist keine alltÀgliche Hörermeldung und eine sehr persönliche Geschichte.

Sina Peschke (Radio MDR): Frau Nguyen sie selbst haben Missbrauch in ihrer Kindheit erlebt. Wie geht es ihnen, wenn sie so etwas hören? Eine Frau mit 81 Jahren, die nie darĂŒber hinweggekommen ist und die sogar aus diesen GrĂŒnden alleine geblieben ist?

Mai Nguyen: Da zieht sich alles in mir zusammen.

Sina Peschke (Radio MDR): Was glauben sie wie oft kommt das vor?

Mai Nguyen: Viel zu oft.

Sina Peschke (Radio MDR): Haben sie auch schon einmal mit Ă€lteren Frauen ĂŒber dieses Thema sprechen können?

Mai Nguyen: Nicht in der Altersrange. Aber seitdem ich meine posttraumatische Belastungsstörung ĂŒberwunden habe, hab ich auch meinen Job gekĂŒndigt. Ich habe frĂŒher im Großkonzern gearbeitet und bin tatsĂ€chlich heute Coach fĂŒr Frauen, die sexuellen Missbrauch erlebt haben.

Ich mache Trauma sensitive Arbeit mit ihnen, wodurch ich jetzt mit ganz vielen Frauen in BerĂŒhrung bin. Die meisten Frauen, die bei mir sind, sind zwischen Mitte 20 und Anfang 40. Das ist die Range, wo ich vieles mitbekomme. Ganz oft bin ich der erste Mensch, dem sie das erzĂ€hlen.

Hilfe holen, egal wann

Sina Peschke (Radio MDR): Was raten sie dieser Dame in dieser Situation, in ihrem Alter zu tun?

Mai Nguyen: Sich Hilfe zu holen.

Radio: Wo?

Mai Nguyen: Es gibt ganz viele Erstanlauf stellen. Unter anderem zum Beispiel das Hilfetelefon fĂŒr sexuell missbrauchte Frauen. Einfach einmal googeln, das ist eine Hotline, die man anrufen kann.

Da sitzen voll ausgebildete Menschen, das sind PĂ€dagogen, aber auch Therapeuten, die supergut ausgebildet sind. Die hören dann einfach erst mal zu und können dann weiter vermitteln. Im nĂ€chsten Schritt wĂŒrde ich immer sagen, eine Therapie angehen, egal in welchem Alter.

Weil, hier wird es wieder spannend, Grundwissen um Traumata zu verstehen: Ein Trauma verĂ€ndert unser Gehirn grundlegend. Es gibt tatsĂ€chlich wissenschaftliche Untersuchung, wo Menschen, die Trauma erlebt haben, im MRT liegen und das Ergebnis ist immer wieder das gleiche: Es gibt vier große Hirnstrukturen, die durch das Trauma verĂ€ndert werden.

Im Alltag fĂ€llt es nicht so auf. Sobald man aber einem Trigger begegnet, also etwas, was die Situation wieder hervorruft, man einen Flashback hat, im Deutschen sind es: Nachhall Erinnerungen, wo das Gehirn komplett anders reagiert, als wie es bei einem “gesunden Menschen” reagieren wĂŒrde.

Das tut es so lange, bis man das Trauma aufgearbeitet hat. Auch wenn die Dame schon 81 Jahre ist. Das Gehirn ist immer noch in der Situation. Das Gehirn ist immer noch fĂŒnf und reagiert zu hundert Prozent mit allen Alarmzeichen, wie es das damals getan hat.

Das hört man auch ganz oft von Opfern, Betroffenen und Überlebenden, dass sie sagen, sie fĂŒhlen sich, als ob sie in der Situation drin wĂ€ren. Und das ist wissenschaftlich genau so. Ein Flashback ist nicht 70 Prozent von Empfindung von frĂŒher, sondern es sind hundert Prozent. Alle Alarmsignale sind wieder da.

2. #metoo-Story von einem MDR-Hörer

Sina Peschke (Radio MDR): Katrin, was gibt es noch?

Katrin Tominski: Das passt ganz gut zu unseren nÀchsten Wortmeldungen. Diese Trigger, die Erinnerungen auslösen, als ob das Erlebnis gerade nochmal erlebt wird. Hans Peter aus Knappenrode ist ein Mann. Er hat sich trotzdem bei uns gemeldet und sagt, dass die Gewalt oft von Alkohol und Drogen aus geht.

Sein Vater war Alkoholiker gewesen und wendete hĂ€usliche Gewalt ein. Er und seine Geschwister mussten auch im tiefsten Winter, im Schlafanzug draußen antreten. Das bewegt ihn also heute noch, wenn er diese Sendung hört, kommt er darauf und muss sich daran erinnern.

Ganz oft geht es von Alkohol und Drogen aus, und das hat ihn sehr betroffen. FĂŒr ihn sei besonders schwierig gewesen, dass sein Vater sich bei Freunden und Familie immer vorbildlich verhalten hat, weswegen keine Hilfe von außen zu erwarten war.

3. Geschichte von einem MDR-Hörer

metoo-debatte

Uwe Großmann aus Bernstein im Erzgebirge hat sich auch gemeldet. Er macht sich in seiner Wortmeldung fĂŒr die Frauen stark, und zwar besonders fĂŒr die Frauen in evangelischen Kirchen. Er sagt, wie auch in der Politik gĂ€be es in der Kirche viel zu wenige Frauen, besonders in den hohen beziehungsweise wichtigen Positionen.

Es brĂ€uchte endlich Frauen, die das Kirchensystem reformieren und will noch mal darauf aufmerksam machen, dass hinter allen großen MĂ€nnern immer noch grĂ¶ĂŸere Frauen stehen. Diese Wortmeldung von einem Mann zu hören ist natĂŒrlich auch eine sehr schöne Äußerung.

Christina Stockfisch aus dem Fach internationale Gleichstellungspolitik definiert: Was fÀllt eigentlich alles unter BelÀstigung

Sina Peschke (Radio MDR): Christina Stockfisch vom Deutschen Gewerkschaftsbund ist zustĂ€ndig fĂŒr europĂ€ische und internationale Gleichstellungspolitik. Frau Stockfisch, sexuelle BelĂ€stigung am Arbeitsplatz was fĂ€llt da alles darunter?

Christina Stockfisch: Das ist riesengroßes Feld. Es hĂ€ngt subjektiv von denjenigen ab, die belĂ€stigt werden, oder sich belĂ€stigt fĂŒhlen. Im Prinzip regelt das AGG ganz klar, wo die Grenzen sind.

Vorhin ging es ums Flirten und beim Flirten geht es immer ums beidseitige EinverstĂ€ndnis. Dieses ĂŒbergriffige Verhalten, also eine BelĂ€stigung, ist einseitig. Ohne das EinverstĂ€ndnis der anderen Person. Sexuelle BelĂ€stigung beginnt immer dann, wenn dieses Verhalten oder die Handlung unerwĂŒnscht, erniedrigend, einseitig und grenzĂŒberschreitend ist.

Das AGG, das allgemeine Gleichstellungsgesetz, gibt da eigentlich eine klare Definition: unerwĂŒnschtes, sexuell bestimmtes Verhalten. Dazu gehören Handlungen und Aufforderungen, aber eben auch einfach nur dumme Witze und AnmachsprĂŒche.


Wie hoch liegt die Beschwerrate?

Sina Peschke (Radio MDR): Wie hoch ist denn die Zahl derer, die sich beschweren, Frau Stockfisch?

Christina Stockfisch: Ach, die Zahl derer, die sich wirklich beschweren, ist verschwindend gering. Zahlen der Antidiskriminierungsstelle des Bundes haben gezeigt, dass 50 Prozent der BeschÀftigten in ihrem Leben schon mal sexuelle BelÀstigung erlebt oder beobachtet haben.

Es gab eine Befragung bei der Berliner Charité mit ihren 70.000 BeschÀftigten, da waren es sogar mehr als 70 Prozent der BeschÀftigten, die etwas in die Richtung erlebt oder beobachtet haben.

Man hat zum Beispiel vor zwei Jahren die 30 Dax Unternehmen befragt. Die konnten 11 FÀlle dokumentieren. Wenn man die letztendlich Betroffenen befragt, kommen ganz wenige aus ihrer AnonymitÀt heraus. Also sie vertrauen sich jemandem an, aber nur sehr selten kommt es dazu, dass sie wirklich Hilfe in Anspruch nehmen.

Vier Prozent sind das nur ungefĂ€hr, die sich an das vorher genannte Hilfetelefon “Gewalt gegen Frauen”, Frauenberatungsstellen oder Gewerkschaftshilfen wenden. UngefĂ€hr 1 Prozent geht in rechtliche Auseinandersetzungen. Also verschwindend gering.

VerdrÀngung im eigenen Unternehmen

Sina Peschke (Radio MDR): Sie sagen zum Beispiel auch, das die Betriebe hÀufig erst reagieren, wenn etwas passiert ist. PrÀvention ist viel besser.

Christina Stockfisch: Genau, weil das Problem dabei ist, das man mit dem Thema sexuelle BelÀstigung jedes GesprÀch im Unternehmen verstummen lassen kann. Wenn man es anspricht, dann gibt es Reaktionen von den BeschÀftigten und den Betroffenen sowohl aus UnverstÀndnis als auch aus Betroffenheit heraus.

Viele sagen, dass sexualisierte Gewalt ganz schlimm ist, aber es im eigenen Unternehmen glĂŒcklicherweise nicht vorkommt. Es ist eine Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit vorhanden, aber weit weg vom eigenen Unternehmen.

Das ist schon sehr schwerwiegend, weil sexuelle BelÀstigung am Arbeitsplatz das Betriebsklima vergiftet und die Betroffenen wirklich krank und demotiviert macht. Es aber so ein Tabuthema ist. Ohne PrÀvention werden wir die Kultur nicht Àndern.

Das, was wir uns so sehr wĂŒnschen, dass sich die Frauen zum Beispiel an ihre vertrauten Kollegen wenden, an die Vorgesetzten, an die Vorgesetzten des BelĂ€stigenden oder an Hilfetelefone und irgendwie beginnen, sich Hilfe zu holen. Das ist so wichtig, sonst werden wir es nicht schaffen, wenn es immer noch in dieser Tabuecke bleibt und in den Betrieben ĂŒberhaupt nichts angesprochen werden kann.

Katharina Wilhelm: Der Fall Harvey Weinstein ist noch lange nicht zu Ende

Sina Peschke (Radio MDR): Katharina Wilhelm ist ARD Korrespondentin in Los Angeles. Frau Wilhelm, der amerikanische Filmproduzent, von dem wir im ersten Teil schon so oft gesprochen haben: Harvey Weinstein wurde am elften MÀrz dieses Jahres, 2020, zu 23 Jahren GefÀngnis verurteilt.

Die VorwĂŒrfe ĂŒber Machtmissbrauch und sexualisierter Gewalt gegen Schauspielerin waren vor drei Jahren der Auslöser der internationalen metoo-Debatte.

Jetzt laufen weitere Verfahren gegen ihn. Hinzu kommt noch eine neue Anklage wegen sexueller Nötigung. Es hört einfach nicht auf.

Katharina Wilhelm: Ja, es hört nicht auf. Es sind mehrere Anklagen, die ĂŒber die letzten Monate dazu gekommen sind. Im Dezember soll der nĂ€chste Prozess hier in Los Angeles stattfinden. Wir sind sehr gespannt.

Kann auch sein, dass Corona dem Ganzen einen Strich durch die Rechnung macht. Momentan ist es sehr schwierig, ihn von A nach B zu bewegen. Momentan ist er an der OstkĂŒste, dafĂŒr muss er an die WestkĂŒste. Wir schauen natĂŒrlich gespannt auf den nĂ€chsten Prozess. Es ist aber nur einer von vielen, der in den vergangenen Jahren aufgedeckt wurde.

Sina Peschke (Radio MDR): Versprechen sie sich davon Überraschungen oder einfach nur die VollstĂ€ndigkeit aller Taten, die er begangen hat?

Katharina Wilhelm: Ich glaube, die VollstÀndigkeit kann man sich sowieso abschminken. Wir hatten auch in dem New Yorker Prozess nur einen kleinen Prozentsatz von den Anschuldigungen gehört. Lange nicht alle sind tatsÀchlich vor Gericht gekommen.

Das wird wahrscheinlich hier in LA auch so sein. Ich glaube, es ist fĂŒr einige Frauen vor allem eine Genugtuung, ihn vor Gericht zu sehen. Sicherlich ist es auch aus rechtlicher Sicht etwas einfacher. Er ist jetzt eben schon angeklagt und verurteilt worden. Ich glaube, da geht man mit einem grĂ¶ĂŸeren Selbstbewusstsein in so einen Prozess, dass da auch was passieren wird.

Das ist das eine. Auf der anderen Seite ist es eine Signalwirkung. Es war eine absolute Signalwirkung fĂŒr Hollywood, dass eben dieser reiche, mĂ€chtige Produzent Harvey Weinstein so zu Fall gebracht wurde.

Denn es gab durchaus Bedenken, dass das Ganze hĂ€tte anders ausgehen können. Das wĂ€re, glaube ich, gerade fĂŒr diese #metoo Bewegung fatal gewesen.

#metoo in Hollywood

metoo-Debatte

Sina Peschke (Radio MDR): Wie spricht man ĂŒber #metoo in Hollywood, drei Jahre danach?

Katharina Wilhelm: Man spricht natĂŒrlich immer noch darĂŒber, aber wie Antje Passenheim es auch schon mal gesagt hat: Derzeit wird das Thema in den USA von vielen anderen Themen ĂŒberlagert. Wir haben den Wahlkampf, Corona ist ein Thema und natĂŒrlich das ganz große Thema: Rassismus, Polizeigewalt.

Das zahlt in eine Àhnliche Ecke ein. Wir haben den PrÀsidenten, der wurde auch immer wieder genannt, wenn ich mit Frauen gesprochen habe, der auch als das Sinnbild dient, um mit #metoo zu versuchen, gegen solche Machtstrukturen anzukÀmpfen.

Wir haben Donald Trump als jemanden, der sehr offen gesagt hat, dass er Macht ĂŒber Frauen hat. Er sie “bei der “Pussy grabben” kann. Das Zitat haben wir oft gehört. Er sich einfach ermĂ€chtigen kann und mit Frauen tun kann, was er möchte.

Das war auch einer der Mitauslöser fĂŒr diese #metoo und anderen Bewegung von Frauen, die gesagt haben, dass es nicht sein kann, dass diese Menschen in diesen Berufen sitzen. Sogar im höchsten Amt als des PrĂ€sidenten der Vereinigten Staaten.

Das Thema in Amerikas Öffentlichkeit

Radio: Ich war vor 25 Jahren auch mal ein Jahr lang in den Staaten. Bei mir ist hĂ€ngen geblieben, dass man mit amerikanischen MĂ€nnern nicht so offen ĂŒber dieses Thema sprechen kann. Hat sich da in dem Vierteljahrhundert was getan?

Katharina Wilhelm: Ich glaube schon. Auf der anderen Seite ist es, glaube ich, genauso wie in Deutschland. Es kommt sehr darauf an, mit wem man spricht und wie die grundsÀtzliche Einstellung ist.

Hier werden sie mit konservativen Amerikanern und auch mit Trump AnhĂ€ngern nicht so offen darĂŒber reden können wie mit, ich sag mal eher liberalen Demokraten. Das ist einfach so. Es ist auch eine politische Einstellung, wie man damit umgeht.

Was ich aber im Diskurs in den USA beobachte, ist, dass es aus meiner Sicht grĂ¶ĂŸere Offenheit gibt, Themen direkt anzusprechen. Ich finde, in Deutschland eiert man manchmal noch ein bisschen um das Thema drum herum.

Es werden andere Begrifflichkeiten gewĂ€hlt. Zum Beispiel gefĂ€llt mir ganz gut, dass man hier von einem “survivor” spricht, von einem Überlebenden eines sexualisierten Missbrauchs oder Gewaltaktes.

In Deutschland hat man eher noch diese Opferrolle. Das macht was mit den Menschen, wie sie benannt werden.

Es wurde vorhin ja auch darĂŒber gesprochen, wie sich so eine gesellschaftliche metoo-Debatte anfĂŒhlt. Hat man das GefĂŒhl, die MĂ€nner werden jetzt alle in irgendwelchen Schubladen gesteckt? DĂŒrfen sie sich nichts mehr trauen?

In den USA ist es sicherlich so, dass es eine ganz große Reaktion darauf gibt. Genau hingeschaut wird. Aber ich glaube, das ist auch notwendig, um an dieser ganzen Situation etwas zu Ă€ndern.

Wenn man hier mit den Menschen spricht, die sich fĂŒr #metoo einsetzen, sagen viele, das es eine kulturelle Revolution braucht, sonst Ă€ndert sich nichts.

Klare Rechtssprechungen fĂŒhren zum Umschwung

metoo-Debatte

Sina Peschke (Radio MDR): Sie haben es gerade schon angeschnitten. Ich wollte sie trotzdem noch mal explizit fragen: Wie ist es, wenn sie nach Hause, also nach Deutschland kommen? SpĂŒren Sie da ein Unterschied zu diesem Thema?

Katharina Wilhelm: Ja, tatsĂ€chlich schon. Wenn ich in Deutschland mit Bekannten diskutiere, ist es interessant, das es gefĂŒhlt viel mehr Ressentiments (Vorurteile) gibt, teilweise viel mehr UnverstĂ€ndnis, warum manche so radikal damit umgehen.

Das sehe ich in den USA ein bisschen weniger. Hier sprechen manche abfĂ€llig von einer “Political Correctness”. Ich glaube, in Amerika sieht man das Thema noch mal ein bisschen bewusster, weil es jetzt doch viele Urteile oder zumindest Gerichtsprozesse gab.

In Deutschland erinnern wir uns vor allem an Prozesse, die mit einem Freispruch geendet haben. Das ist wahrscheinlich auch eine schwierigere Situation fĂŒr viele Opfer oder Überlebende, weil sie merken: Wird mir vielleicht nicht geglaubt?

Mit Weinstein sehen wir, dass es eine ganz klare Rechtsprechung gab: 23 Jahre. Das ist schon deutlich viel. Ich glaube, das kann viele Frauen ermutigen, sich mit ihrer Geschichte raus zu trauen.

Das ist eben die andere Seite der Medaille das, wenn man sich traut, in die Öffentlichkeit zu treten oder eben jemanden vor Gericht zieht, gibt es auch dieses Misstrauen gegenĂŒber den Opfern. Zumindest denjenigen, die den TĂ€ter Anschuldigen.

Das ist sicherlich eines der großen Probleme, weswegen sich Frauen nicht trauen. Sie haben das GefĂŒhl, sie stehen dann auf einmal im Scheinwerferlicht, sie sind diejenigen, die hinterfragt werden.

Das haben wir beim Weinstein Prozess auch gesehen. Es gab dann auf einmal viele Diskreditierungsversuche gegenĂŒber diesen Frauen. Das macht die Sache natĂŒrlich nicht viel einfacher.

#metoo in drei Jahren

Radio: Was glauben Sie, wie wird in drei Jahren ĂŒber #metoo gesprochen werden? Wird es ĂŒberhaupt noch ein Thema sein?

Katharina Wilhelm: Ja, und ich befĂŒrchte, wir reden ganz genau so wie heute darĂŒber. Da darf man sich keine Illusionen machen. Das Thema wird uns ĂŒber Jahre und sicher ĂŒber Jahrzehnte, glaube ich noch beschĂ€ftigen.

Das Ă€ndert sich nicht mit einem Fingerschnipsen. Und das hat auch mit diesen MachtverhĂ€ltnissen zu tun, ĂŒber die wir schon gesprochen haben.

Hier in Hollywood macht man sich darĂŒber Gedanken wie: Wie versuchen wir diverser zu sein? Wie versuchen wir, mehr Frauen in Machtpositionen zu bekommen? Mit der Hoffnung, dass diese FĂ€lle weniger werden. Das sind natĂŒrlich Strukturen und MĂŒhen, die unglaublich langsam mahlen.

Man kann nicht auf einmal die komplette Hollywood Elite austauschen. Das funktioniert so nicht. Es gibt aber aus meiner Sicht ein grĂ¶ĂŸeres Bewusstsein, dass man eben auch Studiobosse braucht, die weiblich sind. Man nicht nur MĂ€nner hinter der Kamera braucht.

Man Frauen in allen Positionen braucht. Und das ist immer noch nicht so.

Jana Brandt arbeitet weiterhin an #metoo

Sina Peschke (Radio MDR): Zum GlĂŒck haben wir heute einen weiblichen Studioboss in der Sendung, nĂ€mlich die Frau Brandt. Frau Brandt, darf ich Sie kurz fragen: Was denken sie, wie werden sie mit dem Thema #metoo in ihrem Verantwortungsbereich in den nĂ€chsten Jahren beim MDR umgehen?

Jana Brandt: Mich hat noch nie jemand einen weiblichen Studioboss genannt, (die Runde lacht) bin ich auch nicht, aber ich verstehe die Ansprache. Ich fand den Gedanken, der gerade aus Los Angeles kam, interessant.

Die Frage der DiversitĂ€t. Wie verĂ€ndern wir bestimmte Prozesse? Wie verĂ€ndern wir eine Unternehmenskultur? Wie verĂ€ndern wir das Denken und die Kultur, miteinander umzugehen? Geben wir in konkreten FĂ€llen auch mehr Frauen eine Chance, mit ihrer kĂŒnstlerischen Sprache, ihrer Entscheidungsfreude und ihrer Leidenschaft Projekte zu prĂ€gen?

Da kann ich fĂŒr den MDR sagen, dass wir da auf einem extrem guten Weg sind. Gerade was die Besetzung von Positionen in der Frage von Regie oder Drehbuchautorinnen angeht. Wir bemĂŒhen uns wirklich, eine Anlaufstelle zu sein und Frauen in jeder Form zu fördern.

Ob in unseren Formaten wie in: “Aller Freundschaft” oder auch beim Tatort ihnen die Chance zu geben, auch die Bosse am Set zu sein und auch ein anderes Klima im Arbeiten miteinander zu kreieren. Ich glaube nicht, dass es sich von jetzt auf gleich Ă€ndert, sondern es ein stetiger Prozess ist.

Habe aber doch immer das GefĂŒhl, das #metoo auch nach drei Jahren dafĂŒr gesorgt hat, dass wir nicht nur darĂŒber reden, sondern es auch zumindest in meinem Handlungsumfeld ganz klar die Möglichkeit gibt, es auch umzusetzen.

Dies auch einfach zu tun und in ein Aktionismus zu treten und die Welt in dem Sinne ein bisschen besser zu machen. Sich nicht immer nach rechts oder links umzudrehen und zu meinen, irgendeiner wird das schon regeln.

Eigenverantwortung meinerseits, aber auch im Team ist fĂŒr mich sehr wichtig.

Die “Opferrolle” in die MĂ€dchen heute immer noch gesteckt werden

metoo-Debatte

Radio: Ich muss ihnen zum Schluss noch ein persönliches Erlebnis erzĂ€hlen. Und zwar in der Schule meines Kindes. Da wurden die Jungs aufgefordert, die MĂ€dchen vor Übergriffen zu beschĂŒtzen, weil sie ja “Opfer mĂ€nnlicher Lehrer” seien.

Fand ich persönlich grundlegend falsch. Wie finden Sie das, Frau Nguyen?

Mai Nguyen: Ich war gerade dabei, noch einmal was einzuwerfen. Das passt total gut dazu. Die Frau Wilhelm hat es schon gesagt, dass gerade in den USA schon eine Änderung des Wordings da ist. Dass da nicht mehr von “victims”, also Opfern gesprochen wird. Man spricht von "survivors” oder auch "Überlebenden". Das passiert hier in Deutschland gerade viel.

Gestern ist die Webseite online gegangen, wo unsere AnkĂŒndigung fĂŒr diese Runde war, und ich habe die ganz fleißig bei mir auf Instagram und so weiter geteilt und ich bin auch bei der GrĂŒndung von #metoo Germany e. V. dabei.

Wo eben auch andere große Namen dabei sind, wie zum Beispiel die Jany Tempel, aber auch die Nina Fuchs, die mit ihrem Fall bis vor den EuropĂ€ischen Gerichtshof gehen will. Da habe ich dann direkt RĂŒckmeldung bekommen: “Du Mai, die haben dich als Opfer dargestellt. Da steht Opfer!”

Dann war direkt die Diskussionen: Soll ich das jetzt noch ansprechen oder nicht? Ich fand es aber genau so in Ordnung, wie es ist. Es erst einmal da stehenzulassen. In unserer Gesellschaft sind wir noch an der Stelle, wo das Wort “Opfer” fĂŒr die meisten “gĂ€ngiger” ist.

Die Menschen entwickeln sich. Es gibt so drei Phasen der Heilung nach sexuellem Missbrauch. DarĂŒber schreibe ich auch gerade ein Buch. Da charakterisiere ich diese drei Phasen. Und in der ersten Phase ist es einfach so, dass da jemand zum Opfer gemacht wurde.

Da werde ich auch arg böse, wenn in der Persönlichkeitsentwicklung Szene oder in der spirituellen Szene, Leute sagen, die Opferrolle loszulassen, kein Opfer zu sein, bla bla bla. Es ist aber ein Fact, da es passiert ist.

Sina Peschke (Radio MDR): Diese Denkweise existiert eben. In diesem Fall auch in der Schule bei Kindern, die 13, 14 Jahre alt sind und auch bei den Lehrern, die gut 40 Jahre alt waren. Das hat mich sehr erschĂŒttert.

Ich hatte mich gefragt, wie kann man das mit aller Kraft verhindern, das MĂ€dchen auch heute noch in diese Opferrollen hineinwachsen? Mit Opferrolle meine ich, dass sie sich ja eigentlich in diese Rolle nicht selbst helfen können. Das ist der grĂ¶ĂŸte Fehler, den man machen kann. MĂ€dchen können sich selbst helfen, bin ich der Meinung.

Mai Nguyen: MĂ€dchen können sich selbst helfen. Da gibt es ganz tolle Awareness Trainings. Mein nĂ€chstes Interview, welches ich geplant habe, nimmt solch eins ein. Es gibt ein TheaterstĂŒck, das wird seit 25 Jahren in ganz Deutschland gespielt. Das ist ein Duo und Schulen können diese Schauspielertruppe einladen.

Das sind drei oder vier Auftritte, die an einer Schule gemacht werden. Da geht es wirklich genau darum, dass die MĂ€dchen, aber insgesamt die Kinder darauf sensibilisiert werden. “Das ist mein Körper. Ich darf entscheiden. Ich darf Ja oder Nein sagen.” Alle drei StĂŒcke behandeln unterschiedliche Themen.

Im Ersten geht es erst einmal darum, eine unangenehme BerĂŒhrung ohne sexualisierte Intention. Im zweiten Teil geht es dann tatsĂ€chlich darum, Nein zu sagen bei einer sexualisierten Intention von niemandem aus dem nahen Umfeld. Beim Dritten von jemandem aus der Familie.

Das Ganze wird aber sehr kindgerecht runtergebrochen. Das sind Dritt- und ViertklĂ€ssler/innen in ganz Deutschland. Das können Schulen anfragen. Das Schauspiel bietet dann auch Material fĂŒr die Lehrer und Lehrerinnen. Dadurch werden nicht nur die SchĂŒler/innen geschult, sondern eben auch die Lehrer/innen.

Sina Peschke (Radio MDR): Herr Buchmann, haben sie schon spezielle Ausbildung fĂŒr MĂ€dchen im Angebot? Sprich Selbstverteidigen oder etwas in die Richtung?

Thomas Buchmann: Dadurch das ich Kinderschutzbeauftragter im Judoverband bin, wĂŒrde ich sagen, ist das schon eine Zweikampfsportart, die dazu ermutigt, eine starke Persönlichkeitsentwicklung voranzutreiben. Stark zu sein und nach außen zu zeigen: bis hierhin und nicht weiter.

Ich kann nur die gesamten Strukturen dazu ermutigen, solche Angebote auch in anderen Bereichen anzunehmen.

Sina Peschke (Radio MDR): Wenn ein MĂ€dchen ein Judogriff kann, ist es nie verkehrt.

Schlussrunde: Ist die Gesellschaft in den letzten drei Jahren durch die metoo-Debatte gerechter geworden oder nicht?

metoo-Debatte sexueller Missbrauch Retraumatisierung

sexueller Missbrauch Retraumatisierung

Sina Peschke (Radio MDR): Ich wollte mich noch einmal auf den Grund dieser Diskussionsrunde beziehen. Was die metoo-Debatte in den letzten drei Jahren bewirkt hat und ob die Gesellschaft fĂŒr Frauen gerechter geworden ist? Das gebe ich jetzt gerne noch mal in die Schlussrunde.

Kurzes Statement zu der Frage: Ist die Gesellschaft in den letzten drei Jahren durch #metoo gerechter geworden oder nicht? Frau Brandt, MDR Programmchefin fĂŒr den Bereich Fernsehfilm. Ich wĂŒrde gerne mit ihnen beginnen.

Jana Brandt: Ist die Welt gerechter fĂŒr Frauen geworden? Ich weiß es nicht. Ist die Welt offener geworden? Alleine dafĂŒr, dass wir heute solch eine Diskussionsrunde, wie wir sie heute gefĂŒhrt haben, auf jeden Fall.

Über diese offene Kommunikation ist die Möglichkeit der VerĂ€nderung mit Sicherheit gegeben. Insofern sind wir vielleicht auf dem Weg zu einer besseren und gerechteren Welt, auch fĂŒr Frauen. Ich bin da zuversichtlich.

Sina Peschke (Radio MDR): Danke Ihnen. Frau Nguyen? Sie selbst haben sexuellen Missbrauch erlebt, und sie haben den Mann, der sie missbraucht hat, vor Gericht gebracht. Wie wĂŒrden sie auf diese Frage antworten?

Mai Nguyen: Ich tu mir auch sehr schwer mit dem Wort “gerecht”, aber ich wĂŒrde der Frau Brandt zustimmen, dass es offener ist, dass es leichter ist. Ich erlebe einfach sehr viele Frauen, die sowohl zu mir kommen und gerne bei mir im Podcast sprechen wĂŒrden, oder bei mir im Trauma sensitiven Coaching mit dabei zu sein.

Die metoo-Debatte ermöglicht es ihnen. Es gibt ihnen quasi einen Freifahrtschein zum Reden, weil die meisten eben irgendeine Art von SchweigegelĂŒbde Schweigegebot haben. Dadurch, dass so viele andere ihr Schweigen brechen, fĂŒhlen sie sich ermutigt, dass Gleiche zu tun.

Gesellschaftlich haben sie die Erlaubnis bekommen, darĂŒber sprechen. Auch wenn der Mann, der einem das angetan hat, vielleicht gesagt hat: “Du darfst das nicht.”

Sina Peschke (Radio MDR): Frau Stockfisch, wie sehen sie das aus der Sicht des Deutschen Gewerkschaftsbundes?

Christina Stockfisch: Also fĂŒr die Arbeitswelt wĂŒrde ich das jetzt eigentlich verneinen, dass es wirklich irgendwie gerechter geworden ist. Im Sinne von PrĂ€vention in der Arbeitswelt, finde ich, mĂŒssen wir wirklich noch viel mehr erleben.

Es gibt erst in Einviertel der Betriebe Betriebsvereinbarungen. Vier von fĂŒnf Arbeitgebern wissen gar nicht, dass sie ihre BeschĂ€ftigten laut Gesetz schĂŒtzen mĂŒssen. Vier von fĂŒnf BeschĂ€ftigten wissen auch nicht, dass ihr Arbeitgeber verpflichtet ist, sie zu schĂŒtzen.

Also da ist noch ganz viel Information, Sensibilisierung, aber wirklich auch klare Rechtsprechung notwendig, damit man zu einem partnerschaftlichen, respektvollen Umgang miteinander kommt.

Damit auch zu einem Guten, diskriminierungsfreien Betriebsklima fĂŒr Frauen und MĂ€nnern.

Sina Peschke (Radio MDR): Danke Ihnen, Frau Stockfisch. Sie sagen Nein. Frau Wilhelm, ARD Korrespondentin in Los Angeles, was sagen Sie?

Katharina Wilhelm: Ich glaube, wir haben mehr Aufmerksamkeit bekommen fĂŒr das Thema, aber im GesprĂ€ch mit anderen merke ich auch immer wieder, das noch viel zu tun ist.

Ich glaube, wir haben wie viel Jahre Patriarchat erst mal hinter uns?

Sina Peschke (Radio MDR): Wir können nicht alles in drei Jahren schaffen. Sie haben ja recht.

Katharina Wilhelm: Absolut. Aber wir sind auf einem guten Weg. Das glaube ich schon.

Sina Peschke (Radio MDR): Dann danke ich Ihnen. Das war die Diskussionsrunde beim Sachsen Radio, zum Thema: Drei Jahre #metoo. Ein Hashtag und seine Folgen.

Ich danke Ihnen, dass sie sich die Zeit genommen haben. Danke fĂŒrs Lesen, fĂŒr ihre Anrufe und E-Mails. Der Podcast dazu ist hier abrufbar.

Machen sie es gut bis zum nÀchsten Mal.

Das war der zweite Teil der Diskussionsrunde, an der ich teilnehmen durfte: VerÀnderung nach drei Jahren #metoo?

Die Anklagen auf Harvey Weinstein haben das ganze Thema #metoo in Amerika ins Rollen gebracht. Mehr dazu kannst du im ersten Teil nachlesen. Hat sich dadurch auf lange Sicht etwas verÀndert?

Außerdem erzĂ€hle ich unter anderem meine #metoo Geschichte in Kurzfassung (hier findest du die lange Version). Wir bekommen RĂŒckmeldungen aus den USA und wie es dagegen in Deutschland aussieht.

Bis bald! Deine Mai 💛

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About the Author

Hi, ich bin Mai 😊 Ich habe es mir zur Aufgabe gemacht Opfern sexuellen Missbrauchs zu zeigen, dass sie nicht alleine sind. Auch wenn eure Scham und Angst etwas anderes erzĂ€hlen: Das ist nicht wahr! Und es kommt noch besser: Der richtige schöne Teil eures Lebens liegt noch vor euch! Ich habe es geschafft, aus dem schlimmsten Erlebnis meines Lebens, eine enorme Kraft zu ziehen & mein Leben nach meinen Ideen neu zu gestalten - also kannst du das auch! Deine Mai 💛

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